Leitsatz (amtlich)
1. Zur Zulässigkeit eines Feststellungsantrags in Fällen der behaupteten Haftung im Rahmen des so genannten Dieselskandals (hier: wegen des Vorrangs der Leistungsklage verneint).
2. Das Verhalten eines Fahrzeugherstellers ist trotz der vorsätzlichen Installation einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Gesamtschau nicht als sittenwidrig zu beurteilen, wenn der Fahrzeughersteller - noch vor dem streitgegenständlichen Fahrzeugerwerb von einem Vertragshändler - seine Vertragshändler angewiesen hat, Fahrzeugkäufer über die Betroffenheit des Fahrzeugs vom Rückruf zu informieren.
Normenkette
BGB §§ 31, 826; ZPO § 256
Verfahrensgang
LG Heilbronn (Urteil vom 07.08.2020; Aktenzeichen 10 O 20/20) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 07.08.2020, Az. 10 O 20/20, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 52.790,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Schadensersatzansprüche mit der Begründung geltend, in das streitgegenständliche Fahrzeug sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut.
1. Der Kläger erwarb durch Kaufvertrag vom 06.04.2018 von einem nicht am Rechtsstreit beteiligten Audi-Vertragshändler ein gebrauchtes Fahrzeug Audi SQ5 3.0 TDI zum Kaufpreis von 52.790,00 EUR, welches mit einem Dieselmotor des Typs V6 3.0 TDI EU 6 plus ausgerüstet ist. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnete für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp einen Rückruf an und gab dies mit Pressemitteilung vom 23.01.2018 öffentlich bekannt. Über die Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs informierte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom Juli 2019.
Die Beklagte nutzt zur Kommunikation mit ihren Vertriebspartnern eine internetbasierte Informationsplattform, das sog. "Audi Partner Portal" (APP). Dieses Portal enthält alle wesentlichen Informationen für die Tätigkeit des Händlers und wird von diesem mehrmals wöchentlich eingesehen. Neuigkeiten und Änderungen im APP werden über den Newsletter und über Titelseiten mit Schlagzeilen hervorgehoben. Die Vertragshändler und Servicepartner wurden über dieses System über die Beanstandungen am streitgegenständlichen Fahrzeugtyp informiert. Konkret teilte die Beklagte den Händlern über das APP unter anderem mit, dass die Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs nur nach entsprechendem Hinweis an Kaufinteressenten über die Beanstandungen und die erforderliche Software-Aktualisierung verkauft werden dürften. Zu diesem Zweck stellte die Beklagte den Vertragshändlern und Servicepartnern - ebenfalls über das APP - ein Musterschreiben zur Verfügung, welches diese fortan Kaufinteressenten vor Abschluss des Kaufvertrags über ein Fahrzeug des streitgegenständlichen Typs aushändigen mussten (sog. "Beipackzettel").
Um eine Stilllegung des Fahrzeugs zu vermeiden, ließ der Kläger das Software-Update inzwischen aufspielen.
2. Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, in dem Fahrzeug seien mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen enthalten. Es sei eine Software verbaut, die physikalische Größen wie z.B. die Umgebungstemperatur auswerte. Komme die Software zu dem Ergebnis, dass sich das Fahrzeug auf dem Rollenprüfstand befinde, aktiviere sie eine Aufheizstrategie, die den Schadstoffausstoß reduziere. Im Straßenbetrieb werde diese Funktion abgeschaltet. Die Software erkenne dies insbesondere durch den Lenkwinkeleinschlag. Die Beklagte verwende in dem streitgegenständlichen Fahrzeug darüber hinaus eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters. Es liege weiterhin eine Softwarestrategie vor, die dazu führe, dass lediglich auf dem Rollenprüfstand die Einspritzung von AdBlue so geschaltet werde, dass die Grenzwerte eingehalten würden. Schließlich wirke eine Software auf das Getriebe des Fahrzeugs ein und bewirke, dass auf dem Rollenprüfstand niedrigere CO2-Werte und ein niedrigerer Benzinverbrauch erzielt würden als im normalen Straßenverkehr.
Der als Hauptantrag geltend gemachte Feststellungsantrag sei zulässig, weil die Ansprüche derzeit noch nicht beziffert werden könnten, da noch nicht absehbar sei, welche Schäden ihm in welcher Höhe ihm entstehen würden. Zudem solle noch keine abschließende Entscheidung getroffen werden, ob er das Fahrzeug an die Beklagte zurückgebe oder nicht. Soweit er sich im Rahmen der Vorteilsausgleichung eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen müsse, könne er diese nicht beziffern.
Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags sei ihm nicht bekannt gewesen, dass das KBA eine zwangsweise Aktualisierung der Motorsteuerungssoft...