Verfahrensgang
LG Ulm (Urteil vom 26.11.2020; Aktenzeichen 4 O 385/20) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Ulm vom 26.11.2020, Az. 4 O 385/20, unter Aufhebung des Kostenpunktes abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.495,49 EUR zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 04.09.2020 sowie weiterer Zinsen in Höhe von 28,14 EUR, Zug um Zug gegen Übertragung eines Anteils von 85% am Eigentum und Übertragung von Mitbesitz an dem Pkw XY, Fahrzeug-Identifizierungsnummer ..., zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen tragen der Kläger 25%, die Beklagte 75%.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung der anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 26.684,12 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger macht nach dem Kauf eines fabrikneuen Kraftfahrzeugs der Marke XY, Modelljahr 2014, Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeugs geltend.
1. Die Beklagte verbaute ab 2008 in einen Teil der von ihr produzierten Fahrzeuge, darunter auch in Fahrzeuge des oben bezeichneten Typs, von ihr selbst entwickelte Dieselmotoren des Typs EA 189 EU5. Die Abgasreinigung erfolgt bei diesen Fahrzeugen über eine Abgasrückführung, bei der ein Teil der Abgase zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt wird und dort erneut an der Verbrennung teilnimmt. Die auf dem die Abgasrückführung steuernden Motorsteuergerät installierte Software war in der Lage zu erkennen, wenn das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt. In diesem Fall aktivierte die Software einen besonderen Betriebsmodus (Modus 1), in dem die Abgasrückführungsrate gegenüber dem Betrieb im Normalbetriebsmodus (Modus 0) erhöht war. Damit wurde eine Verringerung der Emission von Stickoxiden erreicht. Nur im Modus 1 wurden die im NEFZ zu bestimmenden Stickoxid-Grenzwerte der Emissionsklasse Euro 5 eingehalten. Die Prüfstanderkennungs- und Umschaltfunktion der Motorsteuerungssoftware wurde dem Kraftfahrt-Bundesamt als Typgenehmigungsbehörde gegenüber verheimlicht. Auf diese Weise hatte die Beklagte Typgenehmigungen für die mit Dieselmotoren des Typs EA 189 EU5 ausgestatteten Fahrzeuge erlangt.
Der Kläger bestellte zu einem nicht genannten Zeitpunkt bei der M. GmbH in B. ein Neufahrzeug des Typs XY mit "Tageszulassung". Zuvor hatte er das Fahrzeug unter Nutzung einer Webseite der Beklagten nach seinen Wünschen konfiguriert. Die M. GmbH bestätigte die Bestellung des Klägers am 06.12.2013. Der Kläger zahlte zu einem nicht genannten Zeitpunkt den vereinbarten Kaufpreis von 35.000,01 EUR. Zu einem nicht genannten Zeitpunkt wurde dem Kläger auf dem Betriebsgelände der Beklagten in ... ein Fahrzeug des bezeichneten Typs mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ... übergeben. Das Fahrzeug war am 30.04.2014 auf die M. GmbH erstzugelassen worden. Das Fahrzeug wurde auf die Ehefrau des Klägers zugelassen und in der Folge von ihr genutzt.
Im September 2015 wurde die Ausstattung der Steuerungssoftware von Dieselmotoren des Typs EA 189 EU5 mit einer Prüfstanderkennungs- und Umschaltfunktion öffentlich bekannt und zum Gegenstand einer umfangreichen Berichterstattung der Massenmedien. Die Beklagte veröffentlichte am 22.09.2015 eine Ad-hoc-Mitteilung. Darin teilte sie mit, dass bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Dieselmotoren des Typs EA 189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandwerten und Werten im realen Fahrbetrieb festgestellt worden sei, sie mit Hochdruck daran arbeite, die Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, dazu in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Kraftfahrt-Bundesamt stehe und für notwendige Servicemaßnahmen an den betroffenen Motoren rund 6,5 Milliarden EUR zurückstelle. Die Beklagte gab zudem eine im Wesentlichen gleichlautende Presseerklärung heraus. Am 02.10.2015 schaltete die Beklagte eine Webseite frei, auf der durch Eingabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer überprüft werden konnte, ob ein konkretes Fahrzeug mit der Prüfstanderkennungs- und Umschaltfunktion versehen ist. In einer weiteren Pressemitteilung wies die Beklagte darauf hin.
Das Kraftfahrt-Bundesamt, das in der Prüfstanderkennungs- und Umschaltfunktion der Steuerungssoftware der Dieselmotoren des Typs EA 189 EU5 eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Artt. 3 Ziff. 10, 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 sieht, erließ mit Bescheid vom 15.10.2015 Nebenbestimmungen zu den für die betroffenen Fahrzeuge erteilten T...