Leitsatz (amtlich)
Im Rahmen des Restschadensersatzanspruchs nach § 852 BGB ist jeder Gegenstand, der dem Vorteilsausgleich unterfällt, nur mit demjenigen Anteil mit dem vom Schädiger Erlangten zu saldieren bzw. - wenn eine Saldierung mangels Gleichartigkeit nicht möglich ist - herauszugeben, der dem Anteil des Erlangten am Schaden des Geschädigten entspricht. Eine davon abweichende Berücksichtigung auszugleichender Vorteile würde entweder zu einer Entwertung des Restschadensersatzanspruchs führen oder der Begrenzungsfunktion des Schadensersatzanspruchs im Rahmen des § 852 BGB nicht gerecht werden.
Normenkette
BGB § 852
Verfahrensgang
LG Ravensburg (Urteil vom 27.10.2020; Aktenzeichen 4 O 179/20) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 27.10.2020, Az. 4 O 179/20, unter Aufhebung des Kostenpunktes abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.503,29 EUR zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 09.07.2020 sowie weiterer Zinsen in Höhe von 9,44 EUR, Zug um Zug gegen Übertragung eines Anteils von 28,57% am Eigentum und Übertragung von Mitbesitz an dem Pkw XY, Fahrzeug-Identifizierungsnummer ..., zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug tragen der Kläger 83%, die Beklagte 17%. Von den Kosten des Rechtsstreits im zweiten Rechtszug tragen der Kläger 76%, die Beklagte 24%.
3. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung der anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 29.200,37 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger macht nach dem Kauf eines fabrikneuen Kraftfahrzeugs der Marke XY, Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte als Muttergesellschaft der XY AG und als Herstellerin des Fahrzeugmotors geltend.
1. Die XY AG verbaute ab 2008 in einen Teil der von ihr produzierten Fahrzeuge, darunter auch in Fahrzeuge des oben bezeichneten Typs, von der Beklagten entwickelte und gebaute Dieselmotoren des Typs EA 189 EU5. Die Abgasreinigung erfolgt bei diesen Fahrzeugen über eine Abgasrückführung, bei der ein Teil der Abgase zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt wird und dort erneut an der Verbrennung teilnimmt. Die auf dem die Abgasrückführung steuernden Motorsteuergerät installierte Software war in der Lage zu erkennen, wenn das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt. In diesem Fall aktivierte die Software einen Betriebsmodus (Modus 1), in dem die Abgasrückführungsrate gegenüber dem Betrieb im Normalbetriebsmodus (Modus 0) erhöht war. Damit wurde eine Verringerung der Emission von Stickoxiden erreicht. Nur im Modus 1 wurden die im NEFZ zu bestimmenden Stickoxid-Grenzwerte der Emissionsklasse Euro 5 eingehalten. Die Prüfstanderkennungs- und Umschaltfunktion der Motorsteuerungssoftware wurde dem Kraftfahrt-Bundesamt als Typgenehmigungsbehörde gegenüber verheimlicht. Auf diese Weise hatte die XY AG Typgenehmigungen für die mit Dieselmotoren des Typs EA 189 EU5 ausgestatteten Fahrzeuge erlangt.
Der Kläger bestellte am 03.04.2012 bei der Autohaus L. GmbH & Co. KG, einer Vertragshändlerin der XY AG, ein Neufahrzeug des Typ XY. Der Kläger zahlte am 22.06.2012 den vereinbarten Kaufpreis von 40.500,00 EUR. Am 06.07.2012 wurde dem Kläger ein Fahrzeug des bezeichneten Typs mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ... übergeben. Das Fahrzeug wurde auf den Kläger zugelassen und in der Folge von ihm genutzt.
Im September 2015 wurde die Ausstattung der Steuerungssoftware von Dieselmotoren des Typs EA 189 EU5 mit einer Prüfstanderkennungs- und Umschaltfunktion öffentlich bekannt und zum Gegenstand einer umfangreichen Berichterstattung der Massenmedien. Die Beklagte veröffentlichte am 22.09.2015 eine Ad-hoc-Mitteilung. Darin teilte sie mit, dass bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Dieselmotoren des Typs EA 189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandwerten und Werten im realen Fahrbetrieb festgestellt worden sei, sie mit Hochdruck daran arbeite, die Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, dazu in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Kraftfahrt-Bundesamt stehe und für notwendige Servicemaßnahmen an den betroffenen Motoren rund 6,5 Milliarden EUR zurückstelle. Die Beklagte gab zudem eine im Wesentlichen gleichlautende Presseerklärung heraus. Am 02.10.2015 schaltete die XY AG eine Webseite frei, auf der durch Eingabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer überprüft werden konnte, ob ein konkretes Fahrzeug mit der Prüfstanderkennungs- und Umschaltfunktion versehe...