Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit nach polnischem Recht
Leitsatz (amtlich)
Die Leistungsfähigkeit eines gesteigert unterhaltspflichtigen Empfängers von Leistungen nach dem SGB II bemisst sich nach dessen zumutbar erzielbaren Einkommens. Ein in Deutschland lebender Unterhaltspflichtiger, der nach polnischem Recht Unterhalt schuldet, kann sich auf den hier geltenden notwendigen Selbstbehalt berufen.
Normenkette
GG Art. 1 Abs. 1; SGB II §§ 7-8
Verfahrensgang
AG Stuttgart (Urteil vom 19.08.2005; Aktenzeichen 23 F 1423/04) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des AG - FamG - Stuttgart vom 19.8.2005 (23 F 1423/04) abgeändert.
In Abänderung der vollstreckbaren Jugendamtsurkunde der L. vom 2.10.2002 Geschäftszeichen ... wird der Kläger verurteilt, ab dem 1.7.2005 an die Beklagte monatlich jeweils im Voraus Kindesunterhalt i.H.v. 53 EUR zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 70 % und die Beklagte zu 30 %, bei der Kostenentscheidung der ersten Instanz verbleibt es.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gegenstandswert des Berufungsverfahrens:
bis zur Rücknahme der Anschlussberufung 2.004 EUR
nach Rücknahme der Anschlussberufung 1.200 EUR.
Gründe
I. Die am. 1986 geborene Beklagte ist die eheliche Tochter des Klägers, geboren am. 1959, aus dessen geschiedener Ehe mit der Mutter der Beklagten. Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und lebt in Deutschland, die Beklagte ist polnische Staatsangehörige, sie lebt in Polen.
Die Beklagte besuchte das Gymnasium und schloss dieses am 30.6.2005 mit dem Abitur ab. Ab dem 1.9.2005 besucht sie als Studentin die berufliche Fachhochschule mit dem Ziel des Abschlusses einer Technikerin für Organisation der Werbung. Sie erhält keine staatliche Unterstützung. Sie wohnt bei ihrer Mutter, die 1.200 PLN verdient, wovon sie die Beklagte i.H.v. 250 PLN (entsprechend 62 EUR) unterstützt.
Der Kläger hat sich in einer Jugendamtsurkunde vom 2.10.2002 verpflichtet, Kindesunterhalt i.H.v. 100 EUR monatlich zu bezahlen.
Der 46 Jahre alte Kläger hat in Polen eine Ausbildung zum Schiffelektromechaniker gemacht. Er ist Mitte der 80er Jahre nach Deutschland übersiedelt, wo diese Ausbildung nicht anerkannt wurde. Er arbeitete zunächst als Gerüstbauer und Landschaftsgärtner, seit dem 26.8.1992 war er als ungelernter Arbeiter bei der Druckerei M. beschäftigt und verdiente dort monatsdurchschnittlich 2.500 EUR brutto. Nach seinem Vortrag errechnete sich hieraus ein Einkommen i.H.v. 1.400 EUR netto. Er leistete Schuldentilgungen auf private Konsumkredite im Umfang von 399 EUR (Gesamtschuld ca. 19.500 EUR). Infolge Betriebstilllegung wurde ihm am 25.11.2002 auf den 31.3.2003 gekündigt, er erhielt eine Abfindung i.H.v. 14.703 EUR. Nach seinem Vortrag setzte er diese im Umfang von 12.000 EUR zu Schuldentilgungen ein. Aktuell hat er noch Schulden aus einem Darlehensvertrag vom 17.11.2003 ggü. der V. in ursprünglicher Gesamthöhe von 1050 EUR, worauf er monatliche Raten von 25 EUR bezahlt.
Er erhielt zunächst Arbeitslosengeld i.H.v. 212,66 EUR pro Woche, ab 1.4.2004 Arbeitslosenhilfe i.H.v. 183,89 EUR pro Woche und ab dem 1.1.2005 zusammen mit seiner zweiten Ehefrau (geboren am. 1972) Arbeitslosengeld II i.H.v. 1.337,79 EUR, ab März 2005 i.H.v. 1.311,13 EUR und ab April 2005 i.H.v. 1.177,79 EUR.
Der Kläger behauptet, er sei infolge einer Herzerkrankung seit Anfang 2004 erwerbsunfähig und bietet zum Beweis hierfür die Einholung eines Sachverständigengutachtens an.
In der mündlichen Verhandlung erster Instanz hat der Kläger angegeben, dass er im Oktober oder November 2004 eine Rentenantrag gestellt habe, dieser jedoch abgelehnt worden sei. Auf Nachfrage erklärte er in der Verhandlung zweiter Instanz, dass er nicht wisse, worauf die Ablehnung beruhe, um den Bescheid habe er sich nicht bemüht. Man habe ihm lediglich erklärt, er sei zu fit für die Rente.
Das FamG hat die Jugendamtsurkunde vom 10.2.2002 dahingehend abgeändert, dass der Kläger ab dem 1.7.2005 keinen Unterhalt mehr zu bezahlen hat.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des FamG abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Seine Anschlussberufung auf Abänderung der Jugendamtsurkunde bereits zum 1.4.2004 auf 44 EUR und ab 1.1.2005 auf 0 EUR hat er in der Verhandlung zurückgenommen.
II. Die zulässige, insb. form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten hat in der Sache teilweise Erfolg.
Gemäß Art. 18 Abs. 1 EGBGB ist auf den Unterhaltsanspruch der in Polen lebenden Beklagten polnisches Unterhaltsrecht anzuwenden.
Nach Art. 128 des polnischen Familien- und Vormundschaftsgesetzbuchs (FuVG) obliegt die Verpflichtung zur Leistung von Mitteln für den Unterhalt den gradlinigen Verwandten und den Geschwistern. Nach Art. 135 § 1 FuVG hängt der Umfang der Unterhaltsleistungen von den gerechtfertigten Bedürfnissen des Berechtigten...