Verfahrensgang
LG Tübingen (Urteil vom 16.07.2019; Aktenzeichen 5 O 280/18) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 16.07.2019, Az. 5 O 280/18, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.794,72 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.01.2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des PKWs X. mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ....
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 Euro freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
IV. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen der Kläger 62 % und die Beklagte 38 %. Von den Kosten des Rechtsstreits in zweiter Instanz tragen der Kläger 66 % und die Beklagte 34 %.
V. Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
VI. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
A Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz nach dem Erwerb eines von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs.
Der Kläger hat am 15.08.2011 ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug X. mit einer Laufleistung von 8.860 km zum Preis von 24.455,00 Euro erworben. Bei Schluss der mündlichen Verhandlung hatte das Fahrzeug eine Laufleistung von 143.558 km.
In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor mit der herstellereigenen Typenbezeichnung EA 189 verbaut, der die in der VO (EG) Nr. 715/2007 angeordneten Emissionsgrenzwerte bezüglich der Stickoxide zwar auf dem Prüfstand unter Laborbedingungen im sogenannten Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) einhält, jedoch im realen Straßenverkehr weit überschreitet, was darauf zurückzuführen ist, dass die Beklagte diesen Motor per Softwaresteuerung mit zwei Betriebsmodi versehen hat.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts verwiesen.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 14.085,28 Euro nebst Prozesszinsen seit dem 19.01.2019 Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen Pkw verurteilt. Weiter hat es festgestellt, dass sich die Beklagte diesbezüglich in Annahmeverzug befinde und die Beklagte zur Freistellung des Klägers von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 Euro verurteilt.
Gegen dieses Urteil wenden sich beide Parteien mit der Berufung. Der Kläger verfolgt seine erstinstanzlich abgewiesenen Ansprüche weiter, die auf Rückzahlung des vollständigen Kaufpreises (d.h. ohne Anrechnung von Vorteilsausgleichen) und auf Zahlung von Deliktszinsen gerichtet sind.
Der Kläger beantragt, das landgerichtliche Urteil im Umfang seiner Beschwer abzuändern:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 24.455,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 % p.a. seit dem 13.08.2011 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des PKWs X. mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ... zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 Euro freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Zur eigenen Berufung beantragt die Beklagte,
das am 16. Juli 2019 verkündete Urteil des Landgerichts Tübingen, Az. 5 O 280/18, im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
B Die Berufungen sind zulässig. Die Berufung des Klägers ist insgesamt unbegründet. Die Berufung der Beklagten ist weit überwiegend unbegründet und führt lediglich zur Anrechnung eines höheren Vorteilsausgleichs und zur Anpassung des Freistellungsausspruchs wegen der vorgerichtlichen Anwaltskosten.
I. Dem Kläger steht dem Grunde nach ein Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz seines Schadens gemäß § 826 BGB zu.
1. Die Beklagte hat durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs, dessen Betriebserlaubnis im Hinblick auf die im Rahmen des EG-Typgenehmigungsverfahrens nicht offengelegte streitgegenständliche Umschaltlogik in Frage stand, sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB gehandelt. Mit der Inverkehrgabe des Fahrzeugs bringt der Hersteller jedenfalls konkludent zum Ausdruck, dass das Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden darf, das heißt über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfüg...