Leitsatz (amtlich)
1. Es gibt im Zivilrecht keinen allgemeinen Grundsatz, wonach derjenige den berechtigten Teil seiner Ansprüche verliert, der hinsichtlich weitergehender Ansprüche bewusst wahrheitswidrige Angaben macht.
2. Die Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen, die nicht nur der Behebung des Unfallschadens, sondern auch eines weiteren Schadens dienen, richtet sich nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung. a) Eine Vorteilsanrechnung kommt nicht in Betracht, wenn der Geschädigte die Behebung eines weiteren, nicht durch den Unfall verursachten Schadens unterlässt. b) Setzt der Geschädigte zeitgleich durch den Unfall verursachte und nicht durch den Unfall verursachte Schäden instand, ist es angemessen, hinsichtlich der allen Reparaturmaßnahmen dienenden Aufwendungen eine Vorteilsanrechnung vorzunehmen, die sich danach bemisst, wie sich die übrigen Reparaturkosten auf die reparierten Schäden verteilen.
3. Der Geschädigte kann die Kosten für die Erstellung eines Schadensgutachtens auch dann ersetzt verlangen, wenn sich das eingeholte Privatgutachten als falsch erweist. Eine Ausnahme kommt dann in Betracht, wenn der Geschädigte schuldhaft falsche Angaben gegenüber dem Sachverständigen gemacht hat und sich das Gutachten deshalb als unbrauchbar erweist. Wenn sich der Geschädigte bei der Auftragserteilung eines Autohauses bedient, ist es ihm nicht zuzurechnen, wenn das Autohaus die ordnungsgemäße Angabe eines Vorschadens nicht an den Sachverständigen weitergibt oder der Sachverständige diese Information nicht zur Kenntnis nimmt oder unbeachtet lässt.
Normenkette
BGB § 249; StVG § 7; ZPO § 96
Verfahrensgang
LG Ravensburg (Urteil vom 09.07.2021; Aktenzeichen 4 O 104/20) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 09.07.2021 in Ziffer 1 und 2 der Entscheidungsformel wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.792,62 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.04.2020 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von der gegenüber ihren Prozessbevollmächtigten bestehenden Pflicht zur Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 334,75 Euro freizustellen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
IV. Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Streitwert 2.972,06 Euro
Gründe
A Die Klägerin verlangt vom beklagten Kfz-Haftpflichtversicherer Schadensersatz nach einem Ausparkunfall.
I. Wegen des Sachverhalts wird auf die Feststellungen des landgerichtlichen Urteils verwiesen. Zusammengefasst: Am 17.12.2019 war der klägerische Pkw VW Golf auf einem Parkplatz abgestellt. Rechts davon stand das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug der Marke Audi. Beim Ausparken fuhr die Fahrerin des Audi nach hinten und lenkte zu früh nach links, so dass sie mit dem Fahrzeug der Klägerin kollidierte.
Der VW Golf der Klägerin wurde am Kniestück der Seitenwand im Bereich des rechten Hinterrades beschädigt. Weiter gab es einen Vorschaden am hinteren rechten Stoßfänger, der sich nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen nicht dem Unfallereignis zuordnen lässt.
Die Klägerin ließ den Schaden auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens, welches die fehlende Unfallkausalität des Vorschadens nicht berücksichtigt hat, instandsetzen und verlangte erstinstanzlich insgesamt 5.649,45 Euro, davon Reparaturkosten in Höhe von 4.171,28 Euro, Kosten für ein Schadensgutachten in Höhe von 818,84 Euro, Mietwagenkosten von 247,52 Euro und eine Unfallkostenpauschale von 25,00 Euro, ferner die Freistellung von der Pflicht zur Zahlung von Anwaltskosten in Höhe von 571,44 Euro.
Die Beklagte wendet ein, dass der Klägerin kein Schadensersatz zustehe, da sie einen Vorschaden verschwiegen habe. Die Kalkulation beinhalte auch Positionen, die zur Beseitigung des Vorschadens erforderlich seien. Die Gutachterkosten seien nicht zweckdienlich gewesen und deshalb nicht erstattungsfähig.
II. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 2.972,06 Euro stattgegeben und die Beklagte weiter verurteilt, die Klägerin von der Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 334,75 Euro freizustellen.
Der Anspruch auf Schadensersatz sei nicht wegen des Vorschadens oder dessen Verschweigens ausgeschlossen. Der Vorschaden sei nicht mit dem Unfallschaden deckungsgleich und technisch sowie rechnerisch abgrenzbar. Es gebe keine Grundlage für einen Ausschluss des Schadensersatzanspruchs. Als unfallbedingt seien Reparaturkosten in Höhe von 1.979,71 Euro anzusetzen. Darauf, ob Posten objektiv nicht erforderlich gewesen seien, komme es wegen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung nicht an; das Werkstattrisiko gehe zu Lasten des Schädigers.
Von den Reparaturkosten seien auch nicht die Aufwendungen (von 301,58 Euro) für diejenigen Arbeitsschritte abzuziehen, die sowohl der Behebung des Unfallschadens als auch des Vorschadens di...