Verfahrensgang
LG Stuttgart (Aktenzeichen 8 O 24/21) |
Tenor
1. Das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 30.07.2021, Az.: 8 O 24/21, wird abgeändert:
a.) Die Beklagte wird verurteilt, die Benutzung ihrer Grundstücke, bestehend aus einer Zufahrt, Höhe F ... H ... ..., 7 ... S ..., Flurstück-Nr. 8 .../x, eingetragen im Grundbuch von S ... Blatt-Nr. 1 ..., und einer Teilfläche vor der Zufahrt mit der Flurstück-Nr. 8 .../1xx, eingetragen im Grundbuch von S ... Blatt-Nr. 1 ..., durch den Kläger und dessen Besucher jederzeit für den Zugang und die Zufahrt mit einem handelsüblichen Pkw jeder Art und Gewicht entlang der nordwestlichen Grundstücke, Flurstück-Nr. 8 .../1x und Flurstück-Nr. 8 .../x zu dulden, wobei die Durchfahrt durch die derzeitige Toranlage und hinsichtlich künftiger Toranlagen jederzeit zu gewähren ist.
b.) Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 475,88 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.11.2020 zu zahlen.
c.) Die Widerklage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,00 EUR vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert beträgt in erster und zweiter Instanz jeweils 50.000,00 EUR.
Gründe
A. 1. Die Parteien streiten über das Bestehen eines Zufahrtsrechts aufgrund einer eingetragenen Grunddienstbarkeit und die Berechtigung der Überfahrt über ein angrenzendes Teilgrundstück.
a.) Der Kläger ist seit 2018 Eigentümer des Grundstücks N ... xx, bebaut mit einem Einfamilienhaus, Flurstücknr. 8 .../x (Anlage K 6), vormals Flurstücknr. 8 .../x. Die N ... ist ein Fußgängerweg. Die Beklagte ist Eigentümerin der benachbarten Grundstücke N ... xx und xx sowie L ... xx und xx. Zudem ist sie seit 2015 Eigentümerin des Weges mit der Flurstücknr. 8 .../x (Anlage K 1).
In einem älteren Kaufvertrag vom 07.03.1910 (Anlage K 2) heißt es bezüglich des zu veräußernden Grundstücks mit der Flurstücknr. 8 .../x u.a.:
"Der Eigentümer des berechtigten Grundstücks und alle auf diesem Grundstück wohnenden und verkehrenden Personen sind berechtigt, das den Verkäufern gehörende Grundstück hiesiger Markung P. Nr. 8 .../x jederzeit als Zufahrt zu nutzen."
Eine Grunddienstbarkeit wurde mit diesem Inhalt am 22.03.1910 in das Grundbuch eingetragen (Anlage K 3). Im Grundbuch sind weitere Grunddienstbarkeiten für die jeweiligen Eigentümer des Nachbargrundstücks Flurstücknr. 8 .../x vorhanden (Bl. 68 d. A.). Im Jahr 2007 erwarb der frühere Eigentümer des Zufahrtsweges eine zusätzliche Teilfläche von 19 m2 (Flurstücknr. 8 .../1xx), die unmittelbar an den Weg angrenzt und eine Verbindung zur F ... H ... schafft. Diese Teilfläche stand vormals im Eigentum der Stadt S ....
Per Eintragungsbekanntmachung vom 11.03.2020 wurde die eingetragene Flurstücknummer unter dem Grundstück der Beklagten im Grundbuch abgeändert und als Berechtigter der Grunddienstbarkeit der Eigentümer des (identischen) Grundstücks mit der Flurstücknr. 8 .../x eingetragen (Anlage K 4).
Mit Schreiben vom 30.06.2020 forderte der Klägervertreter die Beklagte auf, das Zufahrtsrecht spätestens bis zum 04.07.2020 zu gewähren.
aa.) Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe ein Recht zur Nutzung des Weges seit dem Jahr 1910 zu. Dies folge aus dem damaligen Kaufvertrag und der darin eingeräumten Grunddienstbarkeit. Die zwischenzeitliche Umbenennung eines Grundstücks führe nicht zum Erlöschen der Grunddienstbarkeit. Diese beziehe sich auch auf eine Zufahrt für Kraftfahrzeuge. Der Inhalt der Grunddienstbarkeit unterliege dem technischen Fortschritt und umfasse in heutiger Zeit das Befahren mit einem PKW. Eine Einschränkung im Wortlaut sei nicht ersichtlich. Alle bisherigen Eigentümer des klägerischen Grundstücks hätten die Zufahrt in unterschiedlichem Umfang genutzt. Allein der Umstand, dass die Voreigentümer den Zuweg nur selten genutzt haben, führe nicht zum Erlöschen der Grunddienstbarkeit. Sie seien nie ausgeschlossen worden. Die Anbringung eines Tores ändere hieran nichts. Das Tor beeinträchtige nicht die Nutzung, sondern erleichtere vielmehr die Nutzung, indem es Dritte ausschließe. Der Weg sei stets durch angrenzende Nachbarn genutzt worden, diese hätten sogar einen eigenen Schlüssel gehabt. Ein Überfahren des im Jahr 2007 erworbenen Teilstücks sei ebenfalls immer möglich gewesen und von der Stadt S ... geduldet worden. Es sei treuwidrig, sich nunmehr auf das Eigentumsrecht zu berufen. Im Übrigen bestehe ein gewohnheitsrechtlich anerkannter Nutzungsanspruch, hilfsweise ein Notwegerecht am Teilstück. Hilfsweise bestehe auch am gesamten Weg ein Notwegerecht. Denn gemäß § 917 BGB müsse im Rahmen eines Notwegerechts die Zufahrt mit dem PKW zum Grundstück ermöglicht werden. Dem stehe die Wohnkonzeption nicht entgegen, schließlich bestehe der Zuweg seit über hundert Jahren und werde genutzt. Eine Belebung des Innenbereichs sei daher allgemein ...