Leitsatz (amtlich)
1. Der Schaden im Sinne des § 826 BGB besteht in den sog. "Dieselskandalfällen" regelmäßig in der Belastung des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs mit einer ungewollten schuldrechtlichen Verpflichtung. Auf die dingliche Rechtslage kommt es nicht an.
2. Greifbare Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung sind gegeben, wenn Tatsachen vorgetragen werden, die sich auf einen vergleichbaren Fahrzeugtyp beziehen, der einem behördlichen Rückruf unterliegt oder bei dem andere Erkenntnisse vorliegen, die auf eine unzulässige Abschalteinrichtung hindeuten. Von einem vergleichbaren Fahrzeugtyp ist in der Regal auszugehen, wenn das Fahrzeug über den gleichen Motor oder Motortyp verfügt und in dieselbe Schadstoffklasse eingestuft ist.
3. Eine Abweichung des Schadstoffausstoßes im Realbetrieb gegenüber dem für die Einhaltung der jeweiligen EU-Norm maßgeblichen Wert stellt keinen greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung dar.
Normenkette
BGB § 826; GG Artikel 103 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Hechingen (Urteil vom 29.03.2019; Aktenzeichen 1 O 252/18) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 29.03.2019 - Az. 1 O 252/18 - wird
zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 22.596,00 EUR
Gründe
I. Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers im Zusammenhang mit der Rückabwicklung von Kaufverträgen über zwei Fahrzeuge, die nach Ansicht des Klägers vom sog. "Abgasskandal" betroffen sind.
Die Ehefrau des Klägers, ... erwarb am 04.10.2016 das Fahrzeug BMW 320d Cabrio, Erstzulassung 2012, mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer ... zum Kaufpreis von 25.000,00 EUR. Das Fahrzeug hatte zu diesem Zeitpunkt eine Laufleistung von 61.000 km. Der BMW 320d Cabrio unterliegt der Emissionsklasse Euro 5. In das Fahrzeug ist ein Motor mit der Bezeichnung N47 verbaut.
Am 26.09.2016 erwarb der Kläger das Fahrzeug BMW 535d mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer ... zum Kaufpreis von 37.900,00 EUR. Das Fahrzeug hatte zum Erwerbszeitpunkt einen Kilometerstand von 67.200 km. Das Fahrzeug unterliegt der Emissionsklasse Euro 6. In zweiter Instanz haben die Parteien unstreitig gestellt, dass in das Fahrzeug ein Motor mit der Bezeichnung N57, 6-Zylinder, verbaut ist. Das Fahrzeug wurde erstmals im Jahr 2013 zugelassen.
Beide Fahrzeuge erwarben der Kläger bzw. seine Ehefrau vom ...
Am 19.04.18 verkaufte der Kläger beide Fahrzeuge an die ... Der BMW 320d hatte zu diesem Zeitpunkt einen Kilometerstand von 89.000 km. Der Kläger erzielte einen Verkaufspreis von 14.000,00 EUR. Der BMW 535d erbrachte einen Verkaufspreis von 19.000,00 EUR; er hatte zum Zeitpunkt seines Verkaufs einen Kilometerstand von 134.000 km.
Die Klagepartei hat durch ihre Prozessbevollmächtigten am 26.04.2018 den Rücktritt von den Kaufverträgen und deren Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erklärt.
Im Jahr 2015 hat das Bundesverkehrsministerium 53 Modelle verschiedener Hersteller auf ihren Stickstoffausstoß testen lassen. Dabei wurde auch ein BMW 530 3,0 Liter Euro 6 getestet, der den zulässigen NOx-Grenzwert bei von den Standardtests abweichenden Bedingungen um das bis zu 3-fache überschritt.
Bei Messungen der Deutschen Umwelthilfe an einem BMW 320d Euro 6 im realen Fahrbetrieb wurde festgestellt, dass die Stickoxidwerte des Fahrzeuges im Vergleich zu den gesetzlichen Grenzwerten im realen Fahrbetrieb um den Faktor 2,6 erhöht waren.
Bei Messungen des Umweltbundesamtes bzw. der Technischen Universität Graz wurde bei einem BMW 320d (Baujahr 2012, Euronorm 5) anstelle des Grenzwertes von 180 mg NOx pro Kilometer ein Ausstoß von bis zu 651 mg NOx pro Kilometer unter Realbedingungen festgestellt. In diesem Fahrzeug war ein Motor der Reihe N47 verbaut.
Am 03.04.18 veröffentlichte das Kraftfahrbundesamt einen Rückruf für einen BMW 750d und einen BMW M550d (Limousine und Touring) 3,0 Diesel Euro 6, bei deren Überprüfung unzulässige Abschalteinrichtungen festgestellt worden waren. Mit Bescheid vom 13.03.2018 hatte das Kraftfahrtbundesamt die ... aufgefordert, mittels eines Rückrufs bei diesen Fahrzeugen die vorhandenen unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen, um die Vorschriftsmäßigkeit der Fahrzeuge wiederherzustellen.
Dem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes zum BMW 750d und M550d lag eine fehlerhafte "Bedatung" in der Motorsoftware der betroffenen Fahrzeugtypen zugrunde. Die Fahrzeugtypen wurden ursprünglich mit der korrekten Software vom Kraftfahrtbundesamt genehmigt und beim...