Leitsatz (amtlich)
1. Die unwiderlegliche Vermutung der Aktionärseigenschaft gem. § 123 Abs. 4 S. 5 AktG ist auch auf nicht börsennotierte Aktiengesellschaften anwendbar.
2. Die Vermutung gem. § 123 Abs. 4 S. 5 AktG ist im Falle nicht börsennotierter Aktiengesellschaften auf jede Form des Nachweises anwendbar, der den in der Satzung der Aktiengesellschaft vorgesehenen An-forderungen entspricht.
3. Die unwiderlegliche Vermutung gem. § 123 Abs. 4 S. 5 AktG setzt nicht die materielle Richtigkeit des Nachweises voraus. Vielmehr kommt einer materiell unrichtigen Bescheinigung nur dann keine Legitimationswirkung zu, wenn konkrete Anhaltspunkte bzw. ein ernsthafter Verdacht für die inhaltliche Unrichtigkeit des Nachweises oder für dessen Fälschung oder Verfälschung bestehen.
Normenkette
AktG § 123 Abs. 3-4
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Aktenzeichen 31 O 67/20 KfH) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 31. Kammer für Handelssachen - Commercial Court - des Landgerichts Stuttgart vom 18.05.2021, Az. 31 O 67/20 KfH, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klägerin und der Nebenintervenient die Gerichtskosten erster Instanz und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten je zur Hälfte tragen, während im Übrigen jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
2. Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens und die im Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten der Beklagten tragen die Klägerin und der Nebenintervenient je zur Hälfte. Im Übrigen trägt jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Der Nebenintervenient kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Streitwert der Berufung: 200.000 EUR
Gründe
I Die Klägerin geht im Wege der Anfechtungs-, hilfsweise Nichtigkeits(feststellungs-) klage gegen die zu TOP 3 (Entlastung des Vorstands), zu TOP 8 (Aufhebung des Beschlusses der Hauptversammlung vom 19.12.2019 über die Erhöhung der Zahl der Aufsichtsratsmitglieder), zu TOP 9 (Aufhebung des Beschlusses der Hauptversammlung vom 19.12.2019 über die Wahl des Herrn H. zum Aufsichtsratsmitglied) und zu TOP 10 (Wahl des Herrn B. zum Aufsichtsratsmitglied) gefassten Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 27.8.2020 vor.
Jedenfalls im Zeitpunkt der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten im Dezember 2019 war Herr H., der Nebenintervenient, Mehrheitsaktionär. Seinerzeit hielt er jedenfalls 15.000.787 Aktien (GA I 7, GA II 103), die Herr M. für die P. LLP als Treuhänder für den Nebenintervenienten verwahrte, was Herr M. zuletzt durch Schreiben vom 12.12.2019 bestätigt hatte (GA II 107). Mitaktionärin war und ist die "Z. S.A. mit Sitz in Luxemburg (nachfolgend "Z. S.A.").
Mit Darlehensvertrag vom 12.6.2015 hatte die Z. S.A. dem Nebenintervenienten ein Darlehen über 54.000.000 EUR gewährt, mit Darlehensvertrag vom 6.11.2015 ein solches über 59.376.823,64 EUR und mit Darlehensvertrag vom 2.7.2017 ein solches über 50.000.000 EUR. Sämtliche Darlehen sollten zum 30.6.2022 zur Rückzahlung endfällig sein.
Zur Sicherheit der Rückzahlung der Darlehen hatten die Z. S.A. und der Nebenintervenient drei Pfandverträge geschlossen, die die Verpfändung von insgesamt 15.000.787 Aktien (GA I 8) der Beklagten zugunsten der Z. S.A. vorsahen (vgl. beispielhaft "Share Pledge Agreement" vom 6.11.2015, Anl. K 5 und B 26 der Beiakte 31 O 3/20 KfH, LG Stuttgart).
In einer an den Vorstand der Beklagten gerichteten E-Mail vom 17.7.2020, 12:27 Uhr teilte die Z. S.A. mit, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie am 15.7.2020 die Freigabe zum Erwerb einer Aktienmehrheit erteilt habe. Als Dateianhang beigefügt war folgende auf den 16.7.2020 datierte Erklärung der Z. S.A. (Anl. B 2):
"Sehr geehrte Herren,
hiermit teilen wir Ihnen mit, dass der Z. S.A. mehr als der vierte Teil der Aktien an der X. AG (Mitteilung gemäß § 20 Abs. 1 AktG) sowie gleichzeitig eine Mehrheitsbeteiligung an der X. AG (Mitteilung gemäß § 20 Abs. 4 AktG) gehört.
Mit freundlichen Grüßen
W. G."
und folgende ebenfalls auf den 16.7.2020 datierte Erklärung der S. Ltd., Barbados (Anl. B 2):
"Sehr geehrte Herren,
hiermit teilen wir Ihnen mit, dass der S. Ltd. mittelbar kraft Zurechnung gemäß § 16 Abs. 4 AktG über die Z. S.A., Luxemburg, Luxemburg, mehr als der vierte Teil der Aktien an der X. AG (Mitteilung gemäß § 20 Abs. 1 AktG) sowie gleichzeitig eine Mehrheitsbeteiligung an der X. AG (Mitteilung gemäß § 20 Abs. 4 AktG) gehört.
Mit freundlichen Grüßen
L."
Die Übersendung der Orig...