Leitsatz (amtlich)
1. Liegt kein Fall verbundener Verträge gemäß § 358 BGB vor, erstreckt sich die Rückabwicklung des wirksam widerrufenen Verbraucherdarlehens nicht auf Leistungen des Darlehensnehmers, die dieser zur Tilgung des Darlehens erbracht hat. Dementsprechend kann der Darlehensnehmer nicht die Herausgabe aus der Tilgung gezogener Nutzungen verlangen.
2. Die an den Darlehensgeber geleisteten Zinsen sind einschließlich tatsächlich gezogener Nutzungen an den Darlehensnehmer herauszugeben. Soweit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs zu vermuten ist, dass eine Bank aus eingenommenen Geldern Nutzungen im Wert des üblichen Verzugszinses gezogen hat, beträgt der Zinssatz bei Immobiliardarlehensverträgen 2,5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz für das Jahr.
3. Eine Anrechnung von Steuervorteilen des Darlehensnehmers findet nicht statt. Die Grundsätze über die Vorteilsausgleichung gelten in Bezug auf Steuervorteile beim Widerruf eines Verbraucherdarlehens nur im Falle verbundener Verträge entsprechend. Steuervorteile sind auch nicht als Nutzungen im Sinne der §§ 346 Abs. 1, 100 BGB zu qualifizieren.
4. Zum Einwand der Verwirkung und des Rechtsmissbrauchs.
Normenkette
BGB §§ 491, 495, 355, 357 Abs. 1, § 346
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 02.09.2014; Aktenzeichen 21 O 690/13) |
Gründe
I. Unter Bezugnahme auf die Erörterung im Termin wird der gerichtliche Einigungsvorschlag, dass gegenseitig keine Ansprüche mehr bestehen, wie folgt erläutert:
1. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger den Darlehensvertrag wirksam widerrufen hat.
Zwar hat die Beklagte die Wirksamkeit des Widerrufs im Schreiben vom 8.5.2013 nicht anerkannt. Dem Kläger stand aber gemäß §§ 495, 355 BGB im Zeitpunkt der Widerrufserklärung noch ein Widerrufsrecht zu, mit dessen Ausübung er auch nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen hat. Auf die Erörterung dieser Fragen im Termin wird Bezug genommen.
Soweit die Beklagte im Schriftsatz vom 6.2.2015 ergänzend zur Frage der Verwirkung vorträgt und dabei insbesondere auf die geleisteten Sondertilgungen abhebt, erachtet der Senat dies nicht als durchgreifend. Wie bei anderen Erfüllungshandlungen, die in Unkenntnis des Widerrufsrechts erbracht werden, lässt sich allein aus dem Umstand, dass der Darlehensnehmer von seinem Recht Gebrauch macht, Sondertilgungen zu erbringen, kein schutzwürdiges Vertrauen der Bank ableiten, der Darlehensnehmer werde von einem bestehenden Widerrufsrecht keinen Gebrauch machen. Das lässt lediglich das Bestreben des Darlehensnehmers erkennen, das Kreditverhältnis - an das er sich gebunden sieht - möglichst rasch abzuwickeln.
2. Hinsichtlich der Widerrufsfolgen sind zwei Punkte problematisch: Zum einen die Frage, wie die Tilgungsleistungen des Klägers im Rahmen der Rückabwicklung zu berücksichtigen sind und zum anderen, welche Nutzungen die Beklagte tatsächlich gezogen hat.
a) Welchen Einfluss die vom Kläger erbrachten Tilgungsleistungen auf den Umfang der wechselseitigen Rückabwicklungsansprüche gemäß §§ 357 Abs. 1, 346 BGB haben, hängt davon ab, ob in der teilweisen Tilgung des Darlehens auch in Bezug auf das Rückabwicklungsschuldverhältnis eine partielle Rückgewähr der Darlehensvaluta zu sehen ist. Bejaht man das, wird der Leistungsaustausch insoweit nicht rückgängig gemacht: Der Darlehensnehmer kann seine Tilgungsleistungen nicht zurückverlangen und der Bank steht ein Anspruch auf Rückgewähr der Valuta nur zu, soweit das Darlehen noch nicht getilgt ist.
Ohne diese Frage zu problematisieren, nimmt die bisherige Rechtsprechung an, dass der Darlehensnehmer im Falle eines wirksamen Widerrufs nicht nur seine Zinszahlungen, sondern auch die erbrachten Tilgungsleistungen zurückfordern darf. Umgekehrt soll der Darlehensgeber ungeachtet der teilweisen Rückführung des Darlehens einen Anspruch auf Erstattung des ausgezahlten Nettokreditbetrages haben (BGH v. 10.3.2009 - XI ZR 33/08; v. 24.4.2007 - XI ZR 17/06; v. 12.11.2002 - XI ZR 47/01; KG Berlin v. 22.12.2014 - 24 U 169/13; OLG Düsseldorf v 17.1.2013 - 6 U 64/12; Maihold in Nobbe, Kommentar zum Kreditrecht, 2. Aufl., § 357 Rn. 3 ff.).
Betrachtet man nur die Valuta und die Tilgungsleistungen selbst, wirkt sich die unterschiedliche Behandlung der Tilgungsleistungen auf das Ergebnis einer Verrechnung der wechselseitigen Ansprüche allerdings nicht aus: Ob die Bank die volle Valuta verlangen kann, im Gegenzug aber die Tilgungsleistungen auskehren muss oder ob ihr nur die im Zeitpunkt des Widerrufs noch offene Valuta zusteht, sie aber dafür die in den Ratenzahlungen enthaltene Tilgungsanteile nicht zurückgeben muss, ändert am Verrechnungssaldo nichts.
Von Bedeutung ist die unterschiedliche Behandlung der Tilgungsleistungen aber, soweit es um die weiteren Ansprüche der Beteiligten geht: den der Bank auf Wertersatz für die zeitweise Kapitalüberlassung (§ 346 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BGB) und den des Darlehensnehmers auf Herausgabe tatsächlich gezogener Nutzungen (§ 346 Abs. 1 BGB), denn hierfür gelten unterschiedliche B...