Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen eines Vergütungsanspruchs nach § 615 BGB oder eines Schadenersatzanspruchs nach § 252 BGB bei kurzfristiger Absage eines ärztlichen Behandlungstermins durch den Patienten.

 

Verfahrensgang

LG Ellwangen (Urteil vom 13.10.2006; Aktenzeichen 5 O 490/05)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 5. Zivilkammer des LG Ellwangen vom 13.10.2006 - 5 O 490/05 - (Bl. 78 ff. d.A.) abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 338,82 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung des Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers werden zurückgewiesen.

3. Der Kläger trägt die Kosten beider Rechtszüge.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert im 2. Rechtszug: 6.255,31 EUR.

 

Gründe

A. Der Kläger, ein niedergelassener Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg mit eigener Praxis, nimmt den Beklagten, seinen ehemaligen Patienten, auf Zahlung von Honorar, hilfsweise Schadensersatz, für eine ausgefallene zahnärztliche Behandlung in Anspruch. Die für den 5.7.2005, 13.00 Uhr vorgesehene Behandlung hat der Beklagte 4 Stunden vorher wegen einer angeblichen Verhinderung durch einen Gerichtstermin abgesagt. Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe gleichwohl gem. § 615 BGB der vertragliche Honoraranspruch i.H.v. 5.916,49 EUR zu. Zumindest aber schulde der Beklagte Schadensersatz, weil der Kläger wegen der Kurzfristigkeit der Absage die freigewordene Zeit nicht habe anderweit gewinnbringend nutzen können. Er habe dem Beklagten - wie jedem seiner Patienten - im Rahmen der Erstvorstellung am 21./22.12.2004 einen Anamnesebogen vorgelegt, der neben verschiedenen Fragen zu Vorerkrankungen den folgenden vorgedruckten Hinweis enthält:

Wir bitten darum, Terminänderungen bzw. Terminabsagen uns mindestens 24 Stunden, bei Vollnarkoseeingriffen 3 Tage vorher mitzuteilen. Andernfalls sind wir berechtigt, Ihnen eine Ausfallzeitgebühr zu berechnen.

Das LG hat dem Kläger Schadensersatz i.H.v. 2.512 EUR sowie vorgerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 338,82 EUR zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dem Kläger stehe zwar kein Anspruch nach § 615 BGB zu, doch habe der Beklagte durch die kurzfristige Absage vertragliche Nebenpflichten verletzt. Er sei daher zum Schadensersatz verpflichtet. Ein Patient sei gehalten, einen für ihn reservierten Behandlungstermin, den er nicht wahrnehmen könne, nach Möglichkeit frühzeitig abzusagen, um dem Arzt Gelegenheit zu geben, seine Zeit anderweit zu nutzen und Gewinn zu erwirtschaften. Es sei bewiesen, dass der Kläger für den Beklagten einen Zeitraum von 2 Stunden reserviert habe und wegen der kurzfristigen Absage keinen anderen Patienten habe behandeln können, was bei einer längerfristigen Absage möglich gewesen wäre. Der Schaden sei zu berechnen nach dem der nutzlos verstrichenen Zeit entsprechenden durchschnittlichen Umsatz der Praxis, der - einschließlich der Allgemeinunkosten - den entgangenen Gewinn gem. § 252 BGB darstelle. Aus den Bekundungen des Steuerberaters des Klägers ergebe sich, dass der Kläger pro Stunde im Jahresdurchschnitt 1.256 EUR erwirtschafte, so dass der Schaden insgesamt 2.512 EUR betrage. Der Anspruch sei auch nicht nach § 254 BGB zu kürzen, weil es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Kläger die Zeit hätte anderweit gewinnbringend nutzen können.

Dagegen wenden sich beide Parteien mit Berufung (Beklagter) und Anschlussberufung (Kläger). Der Kläger verfolgt sein Zahlungsbegehren vollumfänglich weiter. Der Beklagte erstrebt die Abweisung der Klage insgesamt.

II. Berufung und Anschlussberufung sind zulässig. Während die Berufung des Beklagten ganz überwiegend begründet ist, bleibt der Anschlussberufung der Erfolg versagt. Dem Kläger steht weder nach § 615 BGB ein vertraglicher Honoraranspruch zu, noch kann er nach den §§ 280, 281, 252 BGB Schadensersatz verlangen.

1. Zu Recht hat das LG einen auf Zahlung des Behandlungshonorars gerichteten Anspruch des Klägers gem. § 615 BGB i.V.m. den Bestimmungen Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) als nicht gegeben erachtet. Ein derartiger Anspruch besteht im vorliegenden Fall - unabhängig von grundsätzlichen Bedenken gegen die Anwendbarkeit des § 615 BGB - jedenfalls deshalb nicht, weil sich der Beklagte nicht im Annahmeverzug befunden hat. Durch die einvernehmliche Terminsverlegung auf 5.9.2005 wurde der zunächst vereinbarte Behandlungstermin, um den es im Rechtsstreit geht, aufgehoben. Daher befand sich der Beklagte bereits nicht im Annahmeverzug. Auf die Gründe der Terminsänderung kommt es insoweit nicht entscheidend an.

a) Ob und unter welchen Voraussetzungen einem Arzt oder Zahnarzt für den Fall der Absage eines fest vereinbarten Behandlungstermins seitens den Patienten Ansprüche auf das Behandlungshonorar nach § 615 BGB i.V.m. den Bestimmungen der jeweiligen Gebührenordnung (GOÄ bzw. GOZ) zustehen können, ohne dass der Arzt die Behandlung nachzuholen hat, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

Ein Teil der veröffentlichten Rechtsprechung häl...

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