Leitsatz (amtlich)
1. Im Jahr 1990 entsprach die Durchführung einer Kernspinuntersuchung wie auch die Durchführung einer Angiographie zur Erlangung differntial-diagnostischer Erkenntnisse zur Tumorart (Glioblastom oder Meningeom) dem Standard der Neurochirurgie an Universitätskliniken und Kliniken der Maximalversorgung.
2. Schmerzensgeld i.H.v. 100.000 Euro für behandlungsfehlerhaft verursachten Ausfall des Gesichtsfeldes des linken Auges nach rechts mit einem schmalen Streifen an der Peripherie des oberen Quadranten und einem punktförmigen Bereich, mit der Folge, dass der Patient wegen der zusätzlichen (nicht behandlungsfehlerhaften, sondern krankheitsbedingten) Gesichtsfeldeinschränkung nach links praktisch einem Blinden gleichgestellt werden muss und seiner beruflichen Tätigkeit nicht mehr nachgehen kann.
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Aktenzeichen 15 O 425/99) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Stuttgart vom 14. Juni 2002 – 15 O 425/99 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 100.000 Euro nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 16.12.1999 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen materiellen Schaden zu ersetzen, der diesem aus dem am 10.7.1990 im K. (Name) S. (Ort) durchgeführten Eingriff entstanden ist und künftig noch entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
II. Im Übrigen werden die Klage abgewiesen und die weiter gehende Berufung zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug tragen der Kläger 39 %, die Beklagte 61 %. Von den Kosten des zweiten Rechtszugs tragen der Kläger 37 %, die Beklagten 63 %. Von den durch die Nebenintervention verursachten Kosten trägt der Kläger 37 %, i.Ü. tragen die Nebenintervenienten ihre Kosten selbst.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger und die Beklagte können die Vollstreckung jeweils gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger und die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Streitwert der ersten Instanz: 24.516,75 Euro
Streitwert der Berufung: 199.516,75 Euro
Gründe
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten als Trägerin des K. (Name) in S. (Ort) neben der Feststellung ihrer Verpflichtung zum Ersatz von materiellen Schäden Schmerzensgeld, weil er dort während seines stationären Aufenthalts vom 5.7. bis 31.7.1990 wegen eines Hirntumors fehlerhaft ärztlich behandelt worden sei.
Der am 30.4.1954 geborene Kläger kam am 3.7.1990 wegen Sehbeschwerden zur Computertomographie in die radiologische Praxis der Streithelfer. Hier wurde eine intracerebrale Raumforderung befundet, die von der Lokalisation als „linkshirnig occipital paramedian” beschrieben wurde. Die Art des Tumors beurteilten die Radiologen mit großer Wahrscheinlichkeit als einen hirneigenen Tumor vom Typ eines Glioblastoms, weniger wahrscheinlich sei das Bild differentialdiagnostisch einem zentral eingeschmolzenen Meningeom oder einer Metastase zuzuordnen. Mit diesem Befund wurde der Kläger im K. (Name) S. (Ort) stationär aufgenommen und am 10.7.1990 operiert, der radiologischen Auswertung entspr. mit einem Zugang über die linke Schädelseite. Die operierenden Ärzte fanden dort keinen Tumor. Eine Inspektion im Hirn zeigte regelrechtes Hirngewebe. Eine erst danach durchgeführte Ultraschalluntersuchung (Sonographie) deckte auf, dass der Tumor rechtsseitig gelegen war und den Streithelfern bei der Beschriftung der Computertomographie eine Seitenverwechslung unterlaufen war. Der Operateur resezierte deshalb die Falx (Zwischenwand zwischen rechtem und linkem Gehirn) und entfernte auf diesem Weg einen Teil des Tumorgewebes. Eine vollständige Entfernung war auf diesem Zugangsweg nicht möglich.
Bei der histologischen Untersuchung wurde die Diagnose eines angiomatösen Meningeoms gestellt. In der Folgezeit nach der Operation stellten sich beim Kläger eine verstärkte Sehstörung, insb. eine Hemianopsie nach rechts, sowie eine Lähmung und Gefühlsstörungen im rechten Bein ein. Im Zuge der weiteren Nachbehandlung wurde der Kläger am 31.7.1990 in eine Reha-Klinik verlegt, die am 1. und 2.8.1990 eine computertomographische Kontrolle durchführte und die Rest-geschwulst feststellte. Am 8.8.1990 wurde der Kläger wieder in das K. (Name) zurückverlegt. Die dortigen Befunde zeigten eine gewisse Besserungstendenz, so dass mit dem Kläger eine Folgeoperation unter Eröffnung der rechten Schädeldecke vereinbart wurde, die am 11. September 1990 stattfand. Im Rahmen weiterer Kontrollen begründeten bereits 1992 die Kontroll-CT-Bilder den Verdacht eines erneuten Tumorwachstums (Rezidiv). Seit 1995 ist eine Vergrößerung nicht eingetreten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Feststellungen im Urteil des LG verwiesen.
Das LG Stuttgart hat die Beklagte zur Zahlung von S...