Leitsatz (amtlich)

1. Haben die Parteien in einem Kaufvertrag mit einem Verbraucher eine grds. wirksame Rechtswahl zugunsten des türkischen Rechts gewählt, so kann dennoch bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I VO deutsches Verbraucherschutzrecht einschlägig sein und ein Widerrufsrecht nach § 312 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB a.F. bestehen, wenn der Kauf im Rahmen einer Freizeitveranstaltung getätigt wird, für das das türkische Recht ein Widerrufsrecht nicht kennt.

2. Die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I VO liegen vor, wenn ein deutscher Reiseveranstalter einer Pauschalreise in die Türkei gezielt und in Absprache mit einem türkischen Teppichgeschäft diesem programmgemäß die Reiseteilnehmer zu einer Verkaufsveranstaltung - bei der es sich um eine Freizeitveranstaltung i.S.v. § 312 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB a.F. handelt - zuführt, der sich die Reiseteilnehmer nicht ohne weiteres entziehen können ("Kundenschleußung").

 

Verfahrensgang

LG Tübingen (Urteil vom 12.09.2014; Aktenzeichen 5 O 50/11)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Tübingen vom 12.9.2014 - 5 O 50/11 abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird zugelassen.

Streitwert: 7.900 EUR

 

Gründe

I. Die Klägerin, eine Vertriebsgesellschaft für Teppiche mit Sitz in T., Türkei, nimmt die Beklagte aus einem von dieser in der Türkei während einer Urlaubsreise geschlossenen Kaufvertrag über zwei Teppiche auf Zahlung des noch offenen Kaufpreisteils Zug um Zug gegen Lieferung der Teppiche, die sich noch im Verfügungsbereich der Klägerin befinden, in Anspruch.

Die seinerzeit 85-jährige Beklagte unternahm Ende Oktober/Anfang November 2010 eine einwöchige Pauschalreise in die Türkei, die sie bei dem Veranstalter XXX gebucht hatte. Im Verlauf der Reise fuhr der Bus der Reisegruppe das Ladengeschäft "Ly." in T. an. Dort unterzeichnete die Beklagte am 2.11.2010 einen "Kaufvertrag/Sales-contract" (Anl. K 1/Bl. 5 d.A.). In dieser Urkunde wurden als Kaufgegenstände zwei Teppiche und als Preis ein pauschaler Gesamtbetrag von 8.000 EUR festgelegt. Außerdem wurde eine Anzahlung von 100 EUR in bar bestätigt und die Restzahlung in der Weise vereinbart, dass die Beklagte zunächst 900 EUR überweisen oder durch Scheck o. Ä. leisten und die restlichen 7.000 EUR bei Lieferung zahlen sollte. Die Lieferung sollte "Mitte Januar" erfolgen. Gemeint war damit die Lieferung an den Wohn-ort der Beklagten in Deutschland. Weiter findet sich in dem Vertrag die Klausel: "Auf den Kaufvertrag findet türkisches Recht Anwendung". Das Vertragsformular ist in deutscher und englischer Sprache abgefasst.

Als Verkäufer ist in der Urkunde "Ly.

angegeben. Zwischen den Parteien besteht inzwischen kein Streit mehr darüber, dass dies die Bezeichnung eines von der Klägerin betriebenen Verkaufscenters ist und die Klägerin unter der genannten Bezeichnung als Verkäuferin der streitgegenständlichen Teppiche in Erscheinung trat.

Mit Schreiben vom 8.11.2010 (Anl. K 9/Bl. 180 d.A.) verweigerte die Beklagte die Abnahme und Zahlung der Teppiche. Mit Anwaltsschreiben vom 14.1.2011 (Anl. K 2/Bl. 6d. A) forderte die Klägerin sie unter Fristsetzung zur Zahlung sowie Mitteilung von für sie in Betracht kommenden Lieferterminen auf. Eine Reaktion der Beklagten hierauf erfolgte nicht.

Die Klägerin meint, der Kaufvertrag sei aufgrund der von den Parteien getroffenen Rechtswahl nach türkischem Recht zu beurteilen und nach diesem Recht auch wirksam. Die Beklagte schulde daher die Zahlung der noch offenen 7.900 EUR nebst Zinsen und Kosten.

Die Beklagte behauptet, sie habe vor dem Vertragsschluss versehentlich eine Schlaf-tablette eingenommen und sei daher bei Unterzeichnung der Vertragsurkunde nicht "bei Sinnen" gewesen. An den Kaufvorgang könne sie sich nicht mehr erinnern. Ihr sei nur später aufgefallen, dass sie im Besitz einer Quittung über 100 EUR gewesen sei. Sie meint, die Rechtswahl sei unwirksam. Es komme deutsches Recht zur Anwendung. Danach sei das Geschäft sittenwidrig, da die Teppiche weniger als die Hälfte des vereinbarten Preises wert seien.

Da der Kaufpreis in drei Teilzahlungen hätte erbracht werden sollen, habe sie ein Widerrufsrecht, über das sie hätte aufgeklärt werden müssen, was jedoch nicht geschehen sei. Sie erkläre daher nun den Widerruf.

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und des Wortlauts der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das LG hat nach Vernehmung der Zeugen N ... und H. K ... sowie Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Rauch zum Wert der Teppiche und Beiziehung eines von Prof. Dr. R. in dem Rechtsstreit 9 O 313/05 des LG Mannheim erstellten Gutachtens zum türkischen Recht sowie Einholung eines Rechtsgutachtens von Prof. Dr. H. der Klage, abgesehen von einem Teil der geltend gemachten Zinsforderung und der verlangten vorgerichtlichen A...

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