Leitsatz (amtlich)
Ist eine Tribüne im Stehplatzbereich einer Eissporthalle nicht über eine Treppe, sondern nur über die Stufen des Stehplatzbereichs selbst zugänglich, so kann der Betreiber der Halle aufgrund einer Verletzung seiner deliktischen Verkehrssicherungspflichten zum Schadensersatz verpflichtet sein, wenn er nicht alle möglichen und zumutbaren Vorkehrungen trifft, um Gefahren von Zuschauern abzuwenden, denen diese beim Aufsuchen vor und dem Verlassen ihres Platzes nach der Veranstaltung ausgesetzt sein können. Die Haftung des Betreibers kann begründet sein, wenn eine 67 Jahre alte Besucherin nach Ende einer Veranstaltung, bei der ältere Personen zum Zielpublikum gehören, beim Verlassen des Tribünenbereichs aufgrund eines Stoßes eines der hinter ihr folgenden, drängelnden Zuschauer auf den Boden der Halle stürzt und sich dabei verletzt, weil ein am Rand des Tribünenbereichs angebrachter Handlauf, an dem sich die Verletzte beim Hinabsteigen der etwa 25 cm hohen Stehplatzstufen bis unmittelbar vor dem Sturz festgehalten hatte, ein kurzes Stück vor dem Hallenboden und damit verfrüht endet, so dass die Verletzte im Moment des Stoßes an dem Geländer keinen Halt mehr findet. Es kann unter solchen Umständen gerechtfertigt sein, Inhalt und Umfang der am Unfallort einzuhaltenden Verkehrssicherungspflichten des Betreibers zumindest nach den Anforderungen zu bestimmen, die für Treppen in öffentlich zugänglichen Gebäuden gelten.
Normenkette
BGB § 249 Abs. 1, 2 S. 1, § 253 Abs. 2, § 823 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Ravensburg (Urteil vom 26.02.2010; Aktenzeichen 2 O 306/09) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des LG R vom 26.2.2010 - 2 O 306/09 - wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Berufungsstreitwert beträgt bis zu 6.000 EUR.
Gründe
A. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen angeblicher Verletzung von Verkehrssicherungspflichten auf Schadensersatz in Anspruch.
Die damals 67 Jahre alte Klägerin besuchte am Abend des 4.4.2009 eine vom Eissportclub R. e.V. veranstaltete Eisrevue in der Eissporthalle in R., deren Betreiber die Beklagte ist. Die Klägerin begab sich in etwa in die Mitte eines der Stehplatzbereiche und setzte sich dort auf eine der jeweils ungefähr 25 cm hohen Stufen des Tribünenbereichs. Neben diesem führt eine Treppe mit etwa 18 cm hohen Stufen nach oben. Stehplatzbereich und Treppe sind über die gesamte Länge des Aufgangs hinweg durch einen nicht unterbrochenen Handlauf getrennt, welcher allerdings vor den untersten beiden Treppenstufen bzw. vor der untersten, höheren Stufe des Stehplatzbereichs endet, also nicht bis ganz nach unten reicht. Zugänglich ist der Stehplatzbereich bedingt durch die bauliche Gestaltung nicht etwa über die daneben liegende Treppe, sondern nur entweder von einem schmalen Durchgang aus, der sich ganz am oberen Ende des Tribünenbereichs neben dem Treppenabgang befindet, oder aber ganz von unten, wohin sich die Tribüne ebenfalls neben dem Treppenabgang über einen breiteren Durchgang öffnet.
Nach Ende der Veranstaltung verließ die Klägerin ihren Platz und begab sich in Richtung des Geländers, das Treppe und Stehplatzbereich trennt. Von dort aus ging sie über die Stufen der Tribüne nach unten, verlor jedoch im unteren Bereich ihren Halt, stürzte auf den Boden der Eissporthalle und verletzte sich schwer. Nach ihrer Darstellung hielt sie sich beim Hinuntergehen der Stufen an dem Geländer fest. Ihr seien eine Vielzahl anderer Besucher gefolgt, die von hinten gedrängt hätten. Kurz bevor sie den Boden der Halle erreicht habe, in dem Bereich, in dem der Handlauf endete, sei sie von hinten gestoßen worden und gestürzt. Am Geländer habe sie sich in diesem Moment nicht mehr festhalten können, weil es schon zu Ende gewesen sei.
Im Übrigen wird von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO).
B.I. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche aus §§ 823 Abs. 1, 249 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, 253 Abs. 2 BGB zu. Das LG hat zu Recht angenommen, dass die Beklagte ihr obliegende Verkehrssicherungspflichten schuldhaft verletzt hat und deshalb der Klägerin zum Ersatz der dieser entstandenen Schäden verpflichtet ist.
1. Die Pflicht zur Verkehrssicherung vor Gefahren, die vom baulichen Zustand der betroffenen Eissporthalle ausgehen, trifft u.a. die Beklagte als deren Betreiber (vgl. Staudinger/Hager, BGB, 2009, § 823 Rz. E 320).
2. Die Beklagte hat diese Pflicht schuldhaft verletzt.
a) Die bauliche Gestaltung der für Zuschauer vorgesehenen Zu- und Abgänge einer Sportanlage muss regelmäßig nicht nur den allgemeinen Anforderungen an einen möglichst gefahrlosen baulichen Zustand von Gebäuden genügen (vgl. Bamberger/Roth/Spindler, BGB, 2. Aufl., § 823 Rz. 391), vielmehr sind insoweit schon angesichts des oft erheblichen Besucheraufkommens und des damit verbundene...