Rechtskräftig nach Nichtannahme, BGH VI ZR 108/01 Beschluss vom 18.12.2001

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Verstoß gegen Behandlungsregeln medizinischer Fachgesellschaften als grober Behandlungsfehler, Beweiserleichterung wegen unterlassener Befunderhebung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Verstoß gegen in Leitlinien von medizinischen Fachgesellschaften niedergelegte Behandlungsregeln ist nicht zwingend ein grober Behandlungsfehler.

2. Beweiserleichterungen wegen einer unterlassenen Befunderhebung setzen voraus, dass der Befund mit Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges Ergebnis gehabt hätte. Daran fehlt es, wenn zwei Befundergebnisse möglich sind und nicht festgestellt werden kann, dass dasjenige, auf das zu reagieren gewesen wäre, wahrscheinlicher ist.

3. Nach der Gabe von Heparin war 1996 die Thrombozytenzahl zu kontrollieren.

 

Verfahrensgang

LG Ellwangen (Urteil vom 16.06.2000; Aktenzeichen 5 O 67/98)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Ellwangen – 5 O 67/98 – vom 16.06.2000 wird

zurückgewiesen

2. Die Klägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 30.000,00 DM abwenden, wenn die Beklagten nicht vor der Vollstreckung jeweils Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Beschwer der Klägerin:

über 60.000,00 DM

Streitwert des Berufungsverfahrens:

bis 220.000,00 DM

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld nach einer ärztlichen Behandlung.

Die Klägerin wurde am 22.02.1995 stationär in die chirurgische Abteilung der S. klinik in M. zur Behandlung einer Varicosis beidseits aufgenommen. Der beklagte Landkreis ist der Träger der S. klinik, der Beklagte zu 2 Chefarzt der chirurgischen Abteilung. Am 23.02.1995 erfolgte eine Crossektomie und Stripping der Vena saphena magna rechts. Ab 24.02.1995 erhielt die Klägerin bis zu ihrer Entlassung aus der stationären Behandlung am 06.03.1995 2 × 7500 Einheiten Heparin-Natrium pro Tag außer am 27.02.1995, an dem das linke Bein operiert wurde (Babcock-Stripping und Ligatur der Venae perforantes). Für den 04.03.1995 ist in den Krankenakten festgehalten, daß die Klägerin sich nicht wohl fühlte, über Kopfschmerzen klagte und die Temperatur auf 38,6° angestiegen war. Am Abend sank sie wieder auf 37,2°. Die Klägerin erhielt von da an Aspirin. Am 06.03.1995 wurde sie aus der stationären Behandlung entlassen. Am 08.03.1995 klagte sie über Atemnot mit Kurzatmigkeit, Schmerzen links thorakal, die beim Husten und Einatmen verstärkt waren, sowie Kopfschmerzen. In der chirurgischen Ambulanz der S. klinik wurden am 09.03.1995 die Fäden bei reizloser Wunde entfernt. Der Thorax der Klägerin wurde ohne Befund geröntgt. Die Klägerin schilderte die thorakalen Beschwerden gebessert. Bei einer weiteren Untersuchung in der Ambulanz der S. klinik am 14.03.1995 wurde ein Hämatom über dem rechten Unterschenkel im Bereich einer Perforansligatur festgestellt. Am 17.03.1995 entleerte sich nur noch wenig Hämatom, die Klägerin klagte über bleibende Kopfschmerzen. Eine Computertomographie des Schädels ergab einen altersentsprechenden Befund. Am 19.03.1995 klagte die Klägerin über zunehmende Schmerzen und einen trockenen Husten. In der Ambulanz der S. klinik wurden am 20.03.1995 dauernde Kopfschmerzen und Brustschmerzen ohne Druckschmerz an den Rippen festgestellt. Am 21.03.1995 überwies die Hausärztin die Klägerin an eine Röntgenfachärztin, die eine Lungenembolie diagnostizierte. Daraufhin wurde die Klägerin stationär in die innere Abteilung der S. klinik aufgenommen, deren Chefarzt der Beklagte zu 3 ist. Die Phlebographie ergab eine frische Thrombose der Tibialis-posterior-Gruppe und der Vena poplitea rechts, hier mit flottierendem Thrombus. Die Leukozyten lagen mit 11.060 leicht über der Norm, die Thrombozyten mit 83.000 deutlich unter der Norm von 140.000 bis 440.000. Die Klägerin erhielt 5.000 Einheiten Heparin intravenös. Nach chirurgischem Konsil erhielt sie eine Lysebehandlung mit Actilyse, außerdem eine Vollheparinisierung mit 20.000 Einheiten Heparin intravenös pro Tag. Am 22.03.1995 war die Thrombozytenzahl auf 59.000 abgesunken, die Klägerin beklagte Kopfschmerzen. Am 23.03.1995 lag die Thrombozytenzahl zwischen 49.000 und 52.000, die Klägerin klagte auch über Schmerzen im rechten Bein und erhielt 50 mg pro Tag Soludecortin. Am 24.03.1995 waren die Thrombozyten leicht auf 53.000 angestiegen, am 25.03.1995 auf 56.000, am 26.03.1995 auf 60.000. An diesem Tag endete die Lysebehandlung, die Klägerin erhielt weiterhin jedoch 20.000 Einheiten Heparin. Am 27.03.1995 war die Thrombozytenzahl auf 64.000 angestiegen. In der Kontrollphlebographie war kein Thrombuszapfen mehr nachweisbar. Gegen 20.00 Uhr konnte die Klägerin bei vollem Bewußtsein plötzlich nicht mehr reden, nach kurzer Zeit trat eine Besserung ein, die Symptomatik war um 20.15 Uhr verschwunden. Die Klägerin beklagte linksfrontale Kopfschmerzen nach Husten. Die Computertomographi...

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