Leitsatz (amtlich)

1. Ist der Erlass eines Grundurteils unzulässig, hat das Berufungsgericht eine Ermessensentscheidung dahin zu treffen, ob es die Sache an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweist oder die Sache insgesamt an sich zieht. Eine solche Ermessensentscheidung ist auch dann zu treffen, wenn das angefochtene Grundurteil zwar keinem Verfahrensfehler unterlag, dessen Bestätigung in der Berufungsinstanz jedoch prozessual unzulässig ist, weil neuer Vortrag von Tatsachen, die für Grund und Höhe des Anspruchs annähernd dieselben sind oder in einem engen Zusammenhang stehen, zu berücksichtigen ist.

2. Auch Feuerwehr- und Winterdienstfahrzeuge waren von dem LKW-Kartell, das die Europäische Kommission mit ihrem Beschluss vom 19.07.2016 (AT.39824 Trucks) festgestellt hat, betroffen (Anschluss an EuGH, Urteil vom 01. August 2022 - C-588/20).

 

Normenkette

AEUV Art. 101; EWR-Abkommen Art. 53; GWB § 33 Fassung 1.1.1999, § 33 Fassung 1.7.2005; ZPO § 538

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 28.02.2019; Aktenzeichen 30 O 311/17)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Grundurteil des Landgerichts Stuttgart vom 28. Februar 2019 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht Stuttgart zurückverwiesen.

Streitwert: 28.473,34 Euro

 

Gründe

A Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche wegen kartellrechtswidriger Absprachen geltend.

I. Wegen des Sachverhalts wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts verwiesen. Zusammenfassend: Bis zu einer Konzernaufspaltung produzierte und vermarktete die Beklagte Lastkraftwagen (LKW). Mit - auf einem Vergleich mit den Betroffenen beruhenden - Beschluss vom 19. Juli 2016 (AT.39824) stellte die Europäische Kommission fest, dass die Beklagte und weitere LKW-Hersteller, u.a. MAN, Iveco, Volvo/Renault und DAF, durch Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für mittelschwere (zwischen 6 und 16 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht) und schwere Lastkraftwagen (über 16 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht) sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für diese Fahrzeuge nach den Abgasnormen EURO 3 bis EURO 6 gegen Artikel 101 AEUV und Artikel 53 EWR-Abkommen verstoßen haben. Für die Zuwiderhandlung, die sich über den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum erstreckte und vom 17. Januar 1997 bis zum 18. Januar 2011 andauerte, verhängte die Kommission gegen die Beklagte ein Bußgeld von rund einer Milliarde Euro.

Bei der Klägerin handelt es sich um eine Stadt, die bei der Beklagten Fahrzeuge für ihre Freiwillige Feuerwehr bestellt und abgenommen hat. Streitgegenständlich sind die folgenden Erwerbsvorgänge, von denen die Ziff. 1 streitig ist:

1. am 15.04.1998 ein Mercedes-Benz 1224 AF 4x4 zum Preis von 117.085,76 DM brutto (Anlagen K 1, K 11 bis K 14)

2. am 07.06.2004 ein Mercedes-Benz 815 F Atego zum Preis von 31.228,36 Euro brutto (Anlagen K 2 und K 2a)

3. am 27.11.2009 ein Mercedes Benz 1329 AF 4x4 zum Preis von 64.414,70 Euro brutto (Anlage K 3) und

4. am 06.10.2009 ein Mercedes Benz 1624 A 4x4 zum Preis von 89.250,00 Euro brutto (Anlage K 4).

Unter Vorlage eines vorgerichtlich eingeholten Privatgutachtens behauptet die Klägerin Schäden von insgesamt 28.473,34 Euro, die durch die behauptete Absprache von Bruttolistenpreisen und die abgestimmte Einführung von Euro-Abgasnormen eingetreten sein sollen.

Die Beklagte bestreitet den Erwerbsvorgang Ziff. 1. Sie stellt sich auf den Standpunkt, dass die Fahrzeuge nicht vom Kommissionsbeschluss umfasst seien und ein Schaden nicht entstanden sei. Ferner beruft sie sich auf die Einrede der Verjährung.

II. Mit dem angefochtenen Grundurteil hat das Landgericht die Klage dem Grunde nach (einschließlich Zinsen) für gerechtfertigt erklärt. Dass die Klägerin auch das Fahrzeug Ziff. 1 erworben habe, stehe zur Überzeugung der Kammer aufgrund der Angaben des Zeugen E. fest. Der Erwerb aller streitgegenständlichen Fahrzeuge sei von den kartellrechtswidrigen Absprachen bzw. Verhaltensweisen betroffen, nicht allerdings Nebenleistungen wie Gewährleistungen. Es sei wahrscheinlich, dass der Klägerin ein Schaden in irgendeiner Höhe entstanden sei. Für die Kartellbetroffenheit der streitgegenständlichen Erwerbsvorgänge streite eine tatsächliche Vermutung. Anhaltspunkte dafür, dass die Zuwiderhandlung im Einzelfall nur mit geringer Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden geführt habe, seien nicht gegeben. Bei den vorgelegten empirischen Untersuchungen sei eine eingeschränkte Datengrundlage verwandt worden, die die streitgegenständlichen "Feuerwehrfahrgestelle" bzw. "Winterdienstfahrgestelle" nicht erfasst habe. Die Möglichkeit eines Schadens entfalle auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Vorteilsausgleichs. Es fehle an Anhaltspunkten für eine vollständige Schadensweitergabe. Schließlich seien die Ansprüche auch nicht verjährt.

III. Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung der Beklagten....

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