Verfahrensgang

LG Stuttgart (Entscheidung vom 22.12.1998; Aktenzeichen 12 O 510/96)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 22.12.1998 - 12 O 510/96 - wird

zurückgewiesen.

2. Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsmittels.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert und Beschwer der Beklagten: 30.000,00 DM

 

Tatbestand

Von der Darstellung des Tatbestands wurde abgesehen (§ 543 Abs. 1 ZPO).

 

Entscheidungsgründe

Die Berufungen der Beklagten haben keinen Erfolg. Das Landgericht hat sie zu Recht als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 20.000,00 DM verurteilt und ihre Einstandspflicht für materielle und künftige immaterielle Schäden, die der Klägerin durch ihre Behandlung entstanden sind oder künftig noch entstehen, festgestellt.

1. Die Beklagten haben die Klägerin im Oktober 1993 fehlerhaft behandelt, weil sie die zum Ausschluß einer Beinvenenthrombose notwendigen Befunde nicht erhoben. Dadurch unterblieb eine rechtzeitige adäquate Behandlung der Unterschenkelvenenthrombose, danach der Oberschenkelvenenthrombose im linken Bein der Klägerin. Es ist davon auszugehen, daß bei einer rechtzeitigen Behandlung die bei der Klägerin eingetretenen Folgen, insbesondere das postthrombotische Syndrom, vermieden worden wären. Die Beklagten haben nicht bewiesen, daß diese Folgen auch bei einer rechtzeitigen Behandlung der Thrombose eingetreten wären. Sie sind dafür beweispflichtig, weil das Unterlassen einer Sonographie oder Phlebographie bei Anzeichen einer Thrombose ein grober Behandlungsfehler ist (vgl. OLG Oldenburg VersR 1999, 318; OLG Oldenburg VersR 1994, 1241; OLG Köln VersR 1993, 190; OLG Hamm VersR 1990, 660; OLG Hamm VersR 1990, 1120). Bei einem groben Behandlungsfehler muß der Arzt beweisen, daß der Behandlungsfehler den vom Patienten behaupteten Primärschaden nicht verursacht hat, wenn der Ursachenzusammenhang nicht äußerst unwahrscheinlich ist (BGH NJW 1998, 1780).

a) Der Beklagte Ziff. 1 hat am 01.10.1993 fehlerhaft eine Sonographie oder Phlebographie unterlassen. Er hat in seiner Karteikarte für diesen Tag den Verdacht auf ein Kompartmentsyndrom vermerkt. Wie der Sachverständige PD Dr. med. O dargelegt hat, muß der Beklagte Ziff. 1 an diesem Tag am Unterschenkel der Klägerin klinische Symptome festgestellt haben, die ihn zu dieser Verdachtsdiagnose veranlaßten. Wenn solche klinischen Anzeichen vorliegen, die an ein Kompartmentsyndrom denken lassen, ist zwingend zumindest eine weitere Abklärung durch Sonographie und Phlebographie geboten, auch im Hinblick darauf, daß die Anzeichen neben einem Kompartmentsyndrom auch auf eine mögliche Beinvenenthrombose hindeuten können.

Dabei handelt es sich nach den Aussagen des Sachverständigen Dr. med O um eine elementare Pflicht, ein Verstoß ist aus ärztlicher Sicht schlechterdings nicht mehr verständlich. Der eindeutige Verstoß gegen bewährte medizinische Behandlungsregeln ist ein grober Behandlungsfehler (BGH NJW 1998, 1780).

Der Beklagte Ziff. 1 ist damit dafür beweispflichtig, daß die unterlassene Befunderhebung nicht zur Schädigung der Klägerin geführt hat. Der grobe Behandlungsfehler führt zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für die Primärschädigung, wenn der Kausalzusammenhang nicht äußerst unwahrscheinlich ist (BGH NJW 1998, 1780). Unwahrscheinlich ist der Kausalzusammenhang nicht. Wie der Sachverständige PD Dr. med. O erklärt hat, ist es durchaus möglich, daß die Unterschenkelvenenthrombose bereits am 01.10.1993 begonnen hat und durch eine Sonographie oder Phlebographie hätte festgestellt werden können. Eine sichere Aussage über den Thrombosebeginn kann gerade wegen der unterlassenen Befunderhebung durch den Beklagten Ziff. 1 nicht getroffen werden. Aus der Phlebographie und der Sonographie im Kreiskrankenhaus Ludwigsburg vom 30.10.1993, wo das Alter der Thrombose mit ca. 10 Tagen angegeben war, läßt sich nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen PD Dr. O nicht schließen, daß die Beinvenenthrombose im Unterschenkel erst nach dem 01.10.1993 begonnen haben muß. Das dort auf ca. 10 Tage geschätzte Alter der Thrombose bezieht sich auf die Thrombose im Oberschenkel und nicht auf den früheren Thrombosebeginn im Unterschenkel.

Der Beklagte Ziff. 1 hat den ihm danach obliegenden Beweis nicht erbracht, daß die Schädigung der Klägerin nicht auf der unterlassenen Befunderhebung am 01.10.1993 beruht, sondern auch bei richtiger Behandlung eingetreten wäre. Bei einer Entdeckung der beginnenden Thrombose am 01.10.1993 wäre nach den Angaben des Sachverständigen Dr. O eine Heparinisierung angezeigt gewesen. Ein Erfolg der Heparinbehandlung mit der Folge, daß die entstehende Thrombose sich nicht weiterentwickelt, ist möglich. Zwar kann die thrombotische Entwicklung trotz Heparinisierung fortschreiten. Daß dies bei der Klägerin so gewesen wäre, läßt sich aber nicht sicher feststellen. Daß sich später trotz der Therapie...

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