Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 01.12.2022; Aktenzeichen 35 O 116/22 KfH) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Verfügungsklägerin wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 01.12.2022 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wie folgt abgeändert:
Die Verfügungsbeklagte wird verpflichtet, den Beschluss vom 22.06.2022, mit dem sie das durch die Bekanntmachung im Bundesanzeiger vom 20.12.2019 eingeleitete Verfahren zum Abschluss eines neuen Gas-Wegenutzungsvertrages nach § 46 Absatz 2 EnWG aufgehoben hat, aufzuheben und das benannte Verfahren fortzuführen.
Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen werden gegeneinander aufgehoben.
Streitwert: 50.000,00 Euro
Gründe
A Die Verfügungsklägerin (künftig: Klägerin) verlangt von der Verfügungsbeklagten (künftig: Beklagte) die Weiterführung eines aufgehobenen Verfahrens zur Vergabe einer Gaskonzession.
Wegen des Sachverhalts wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts verwiesen. Zusammenfassend und ergänzend: Die Beklagte führte ein Verfahren zur Vergabe einer Gaskonzession durch. Am 16.12.2019 zeigte sie im Bundesanzeiger und am 20.12.2019 im Amtsblatt der Europäischen Union das Auslaufen des bisherigen Gaskonzessionsvertrages zum 31.12.2021 an. An dem Vergabeverfahren beteiligten sich neben der Klägerin auch die bisherige Konzessionärin, die E... F... GmbH & Co. KG (künftig: E... F...). An dieser ist auch die beklagte Stadt beteiligt.
Gegen die mit dem ersten Verfahrensbrief mitgeteilten Vergabebedingungen reichte die Beklagte eine umfangreiche Rügeschrift ein (Anlage ASt 9). Die Beklagte hob daraufhin die ursprünglich bis 04.08.2020 gesetzte Frist zur Abgabe indikativer Angebote auf (Anlage ASt 10). Weiter schloss die Beklagte die Klägerin wegen einer fehlerhaften Eigenerklärung zur Verhinderung von Verstößen gegen den Geheimwettbewerb vom Verfahren aus, wogegen sich diese erfolgreich wendete (Senatsurteil vom 16.12.2021 - 2 U 158/21, Anlage ASt 15). Mit Schreiben vom 11.07.2022 (Anlage ASt 17) teilte die Beklagte mit, dass der Konzessionsausschuss der Stadt am 22.06.2022 das Konzessionsverfahren "wegen einer unzureichenden personellen und organisatorischen Trennung" aufgehoben habe. Dies rügte die Klägerin mit Schreiben vom 25.07.2022 (Anlage ASt 18). Die Beklagte wies die Rügen mit Schreiben vom 07.09.2022 (Anlage ASt 19) zurück. Darin heißt es zur Begründung:
"Herr Oberbürgermeister A... M... ist Vorsitzender des auch für die E... F... zuständigen Aufsichtsrates der E... F... M... GmbH.
Gleichzeitig ist er kraft seines Amtes Leiter der Gemeindeverwaltung und damit untersteht auch die mit dem Verfahren betraute Verwaltungsmitarbeiterin, Frau S... G..., seiner Leitung. Die Befassung von Frau S... G... mit dem Konzessionsverfahren wird bereits aus ihrer Unterzeichnung der Bekanntmachung im Bundesanzeiger vom 20.12.2019 ersichtlich. Die Befassung von Frau S... G... mit dem Konzessionsverfahren endete zwischenzeitlich mit der Beendigung ihrer Tätigkeit in der Stadtverwaltung.
Gemessen an den Vorgaben des OLG München nimmt Herr Oberbürgermeister A... M... eine Doppelrolle wahr, die einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot begründet. ln seiner Funktion als Oberbürgermeister obliegt Herrn Oberbürgermeister A... M... die Aufsicht über die gesamte Gemeindeverwaltung. In seiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender kommt ihm eine Aufsichtsfunktion im Hinblick auf die E... F... M... GmbH sowie die E... F... zu.
Diese vorliegende Konstellation ist mit dem Sachverhalt, der der Entscheidung des OLG München zugrunde lag, nahezu identisch. Nach der Rechtsprechung des OLG München führt eine derartige Konstellation zu einem bösen Schein der mangelnden Objektivität im Sinne der Rechtsprechung des BGH in Sachen Bargteheide."
Die Klägerin ist der Auffassung, sie werde mit der Aufhebung des Konzessionsverfahrens und dessen Rückversetzung in den Verfahrensstand vor Bekanntmachung unbillig im Sinne von §§ 18, 19 GWB und § 46 EnWG behindert, da ihr Recht, dass innerhalb der Laufzeit des bestehenden Konzessionsvertrages eine Auswahlentscheidung getroffen werde, vereitelt werde. Zudem bestehe die Gefahr zusätzlicher Bewerber. Der von der Beklagten selbst deklarierte Verstoß gegen das Neutralitätsgebot wegen unzureichender organisatorischer und personeller Trennung sei durch den Ausschluss der E... F... zu heilen.
Erstinstanzlich hat die Klägerin zuletzt beantragt (vgl. Tatbestand des landgerichtlichen Urteils, S. 5):
1. Die Verfügungsbeklagte wird verpflichtet, den Beschluss vom 22.06.2022, mit dem sie das durch die Bekanntmachung im Bundesanzeiger vom 20.12.2019 eingeleitete Verfahren zum Abschluss eines neuen Gas-Wegenutzungsvertrages nach § 46 Abs. 2 EnWG aufgehoben hat, aufzuheben und das benannte Verfahren fortzuführen.
Hilfsweise für den Fall, dass das Gericht die Aufhebung des Konzessionsverfahrens für zulässig erachten sollte:
Die Verfügungsbeklagte hat es unter Andr...