Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 24.11.2022; Aktenzeichen 11 O 157/21) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 24.11.2022, Az. 11 O 157/21, aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
2. Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Rechtsstreits und die durch die Nebenintervention verursachten Kosten zu tragen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 100.000 EUR
Gründe
I. 1. Am 02.01.2018 machte die Verfügungsbeklagte (im Folgenden: Beklagte) bekannt, dass der Wegenutzungsvertrag für das Gasverteilernetz der allgemeinen Versorgung in ihrem Stadtgebiet (Gaskonzessionsvertrag) zwischen der Beklagten und der Streithelferin zum 31.12.2019 endet, und bat Energieversorgungsunternehmen, die am Abschluss des Konzessionsvertrags interessiert sind, ihre schriftliche Interessensbekundung bis zum 06.04.2018 einzureichen (Anlage BK3, Bl. 49).
Mit der Durchführung des Gaskonzessionsverfahrens beauftragte die Beklagte zunächst die Kanzlei P... und - nach einem Kanzleiwechsel der zuständigen Rechtsanwälte - ab dem 01.04.2020 die E... (im Folgenden: verfahrensleitende Stelle).
Im Juli 2019 versandte die Beklagte den Verfahrensbrief samt Kriterienkatalog. Den hierauf am 01.08.2019 erhobenen Rügen der Verfügungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) half die Beklagte mit Schreiben vom 26.08.2019 teilweise ab.
Am 04.11.2019 reichten die Klägerin und die Streithelferin ihre verbindlichen Angebote ein. An der Streithelferin ist die Beklagte mit 25,1 % gesellschaftsrechtlich beteiligt. Weitere Bewerber gab es nicht.
Auf der Basis des Auswertungsvermerks vom 13.12.2019 beschloss der Gemeinderat der Beklagten am 30.01.2020, den Gaskonzessionsvertrag mit der Streithelferin abzuschließen. Mit Schreiben vom 06.02.2020 wurde die Klägerin hierüber informiert.
Am 10.02.2020 beantragte die Klägerin Akteneinsicht. Die Beklagte gewährte daraufhin am 06.07.2020 Einsicht in den geschwärzten Auswertungsvermerk und übersandte eine Stellungnahme zu den vorgenommenen Schwärzungen (Anlagen AG 3 und AG 4). Nachdem die Klägerin die Akteneinsicht als unzureichend gerügt hatte, stellte die Beklagte der Klägerin am 15.07.2020 weitere Dokumente und Informationen zur Verfügung, u.a. das in Teilen geschwärzte verbindliche Angebot der Streithelferin. Am 27.07.2020 rügte die Klägerin erneut den Umfang der Akteneinsicht (Anlage AG 6), worauf die Beklagte ihr am 03.12.2020 eine weitere Fassung des Auswertungsvermerks und des Angebots der Streithelferin mit weniger Schwärzungen übersandte.
Mit Schreiben vom 04.01.2021 erhob die Klägerin Rügen gegen die Auswahlentscheidung. Mit E-Mail vom 24.03.2021 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie den Rügen nicht abhelfen werde, weil die Klägerin mit den Rügen präkludiert sei.
Am 07.04.2021 ging der Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei Gericht ein.
Die Klägerin ist der Ansicht, ihre Rügen seien nicht präkludiert, weil die Frist erst durch eine vollständige Akteneinsicht in Gang gesetzt werde.
Die Auswahlentscheidung der Beklagten sei rechtswidrig, weil diese das Gebot der organisatorischen und personellen Trennung der Vergabestelle von dem als Bieter auftretenden Eigenbetrieb nicht beachtet habe, da sowohl das Dezernat, das die Beteiligung der Beklagten an der Streithelferin verwalte, als auch das Dezernat, in dem das Gaskonzessionsauswahlverfahren geführt werde, der Leitung der Bürgermeisterin K... unterstehe und zudem die Aufsicht über alle Dezernate bei der Oberbürgermeisterin Ke... liege, die zugleich stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Streithelferin sei.
Zudem erhebt die Klägerin weitere Rügen, wegen deren Inhalt auf die Ausführungen in der Antragsschrift (S. 20 bis 66) Bezug genommen wird.
Die Klägerin hat nach Rücknahme weiter Anträge in erster Instanz zuletzt beantragt:
1. Die Beklagte hat es zu unterlassen, in dem Gaskonzessionierungsverfahren der Großen Kreisstadt K... einen Konzessionsvertrag (Wegenutzungsvertrag für den Betrieb des Gasversorgungsnetzes in K...) mit der Stadtwerke L... (im Folgenden "SWL...") zu schließen.
2. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin den Zuschlag in dem Gaskonzessionierungsverfahren der Großen Kreisstadt K... gemäß § 46 EnWG zu erteilen.
Hilfsweise dazu die Beklagte zu verpflichten, das Gaskonzessionierungsverfahren der Großen Kreisstadt K... unter Ausschluss der SWL... fortzusetzen.
Hilfsweise hierzu, das Gaskonzessionierungsverfahren der Großen Kreisstadt K... zu wiederholen.
3. Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das Unterlassungsgebot (vorstehend Ziffer 1.) ein Ordnungsgeld in Höhe von EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an dem gesetzlichen Vertreter, angedroht.
Die Beklagte hat zuletzt beantragt:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Beklagte behauptet:
Während des gesamten Verfahrens sei eine personelle und organisatori...