Leitsatz (amtlich)
1. Verbindet ein schuldrechtlich Berechtigter Sachen - hier: ein Fernwärmetransportsystem - mit dem Grund und Boden, so spricht regelmäßig eine Vermutung dafür, dass dies mangels besonderer Vereinbarung nur in seinem Interesse für die Dauer des Vertragsverhältnisses und damit im Sinne des § 95 Absatz 1 Satz 1 BGB zu einem vorübergehenden Zweck geschieht. Diese Vermutung wird nicht schon durch eine massive Bauart des Bauwerks oder eine lange Dauer des Vertrages entkräftet. Die dingliche Einordnung der eingebauten Sachen als Scheinbestandteile ändert sich nicht schon dadurch, dass das Recht zur Benutzung des Grundstücks später wegfällt. Für den Wechsel der Zweckbestimmung ist vielmehr entsprechend §§ 929 ff. BGB eine Einigung der Beteiligten erforderlich.
2. Ein Vertrag, dessen Regelungsziel alleine in der Gestattung der Wegenutzung für die Zwecke eines Fernwärmetransportsystems liegt und der keine Endschaftsregelung enthält, ist nicht ergänzend dahingehend auszulegen, dass der bisherige Fernwärmenetzbetreiber das Fernwärmenetz an den Wegeeigentümer zu übereignen habe.
3. Ein Anspruch des Wegeeigentümers auf Übereignung der Fernwärmeversorgungsanlagen nach Ablauf des Wegenutzungsvertrages ergibt sich auch nicht aus einer analogen Anwendung von § 552 Absatz 1, § 997 Absatz 2 BGB und auch nicht aus § 1004 Absatz 1 BGB.
4. Das Verlangen des Wegeeigentümers, nach Abschluss des Wegenutzungsvertrages die Fernwärmeversorgungsanlagen zu entfernen, verstößt nicht gegen das Schikaneverbot. Das wirtschaftliche Interesse des bisherigen Fernwärmenetzbetreibers, seine Kunden weiterzubeliefern, ist nicht geeignet, mithilfe des gegen die Folgen der Vertragsbeendigung erhobenen Schikaneeinwandes weiterreichende Nutzungsrechte zu erhalten, als sie vertraglich zugesichert wurden.
5. Eine Gemeinde, die in ihrem Gebiet ausschließlich selbst ein Fernwärmetransportsystem betreibt, ist nicht zur Vergabe von Wegenutzungsrechten nach Maßgabe des § 19 GWB verpflichtet. Schließt sie mit Dritten keine entsprechenden entgeltlichen Verträge, bietet sie keine gewerblichen Leistungen in Gestalt der Vergabe von Wegenutzungsrechten an und ist daher insoweit auch nicht unternehmerisch tätig.
6. Ein Kontrahierungszwang ergibt sich als Rechtsfolge aus § 33 Absatz 1 GWB nur, wenn es sich bei diesem um den einzigen sachgerechten Weg zur Beseitigung der unbilligen Behinderung handelt und der Abschluss eines solchen Vertrages selbst nicht gegen gesetzliche Verbote verstößt.
7. Bei der Abwägung der Interessen zur Frage, ob eine Behinderung unbillig ist, ist zu berücksichtigen, ob der geschützte Unternehmer die Belastungen, gegen die er sich wehrt, freiwillig übernommen hat. Er muss sich an den Konditionen eines unter Wettbewerbsbedingungen ausgehandelten Vertrages festhalten lassen.
Normenkette
BGB §§ 95, 226, 552, 997, 1004; GWB §§ 19, 33
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 14.02.2019; Aktenzeichen 11 O 225/16) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 14.02.2019 - 11 O 225/16 - unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung sowie der Anschlussberufung wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, den Störungszustand zu beseitigen, der sich durch das Vorhandensein nachfolgend genannter Fernwärmeversorgungsanlagen in oder auf Grundstücken der Klägerin laut dem Straßenverzeichnis der im erstinstanzlichen Urteil abgedruckten Anlage W 1 ergibt:
- Fernwärmeleitungen (isolierte Rohrleitungen) unterschiedlicher Durchmesser und Druckstufen,
- Haubenkanäle, Tunnel, Rohre und Düker, in denen Fernwärmeleitungen verlegt sind,
- leere Haubenkanäle, Tunnel, Rohre und Düker, die für die spätere Verlegung von Fernwärmeleitungen vorgesehen sind,
- Ventile,
- Umwälzpumpen und Pumpstationen,
- Druckhaltesysteme,
- Wärmetauscher,
- Wärmespeicher, soweit diese als sog. Netzpuffer dem Fernwärmetransportsystem in S zuzuordnen sind,
- Datenleitungen,
- Fernwirktechnik (Stellmotoren sowie analoge und digitale Steuerungsanlagen),
- Messtechnik (Temperatur- und Druckmessgeräte, Wärmemengenzähler und Durchflussmengenzähler mit den dazugehörigen Datenaufzeichnungs- und Datenverarbeitungseinrichtungen),
- Leck-Ortungssysteme mit den dazugehörigen Messgeräten, Datenleitungen und Datenverarbeitungseinrichtungen,
- Korrosionsschutzsysteme.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Widerklage wird abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug tragen die Klägerin ein Drittel und die Beklagte zwei Drittel. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus Ziffer I.1 der Entscheidungsformel durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 50.000,00 Euro abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Vollstreckung aus Ziffer II können beide Parteien durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe...