Leitsatz (amtlich)
1. Im Rahmen eines Rechtsstreits über die erhöhte Einspeisevergütung nach § 23 Abs. 5 EEG in der Fassung vom 11.8.2010 unterliegt das Gutachten eines Umweltgutachters zum Vorliegen der Voraussetzungen keiner gerichtlichen Plausibilitätskontrolle.
2. Bestehen anfänglich zwischen Netzbetreiber und Kraftwerksbetreiber keine Zweifel oder Meinungsverschiedenheiten über das Vorliegen der Voraussetzungen einer erhöhten Einspeisevergütung, so stellt die vorbehaltlose Zahlung des Netzbetreibers auch auf ein Anschreiben des Kraftwerksbetreibers mit der Bitte um Prüfung und Zahlung der erhöhten Vergütung kein konkludentes deklaratorisches Schuldanerkenntnis dar. (Entgegen OLG Hamm, Beschluss vom 26. September 2018 - I-30 U 4/18; OLG Dresden, Urteil vom 3. Juli 2012 - 9 U 1568/11; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2. September 2010 - 1 U 37/10; OLG München, Urteil vom 25. April 2012 - 3 U 891/11; OLG Karlsruhe, Urteil vom 11. November 2020 - 4 U 18/20; OLG Karlsruhe, Urteil vom 27. Juli 2021 - 4 U 219/20 Vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 2022 - IX ZB 5/21)
Normenkette
BGB § 781; EEG 2009 § 23 Abs. 2, 5; InsO § 305
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 12.11.2020; Aktenzeichen 12 O 454/19) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin und des Streithelfers wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 12.11.2020, Az. 12 O 454/19, abgeändert:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für den aus der Wasserkraftanlage in G., J.-Straße, Anlagennummer ... eingespeisten Strom bis zu einer Bemessungsleistung von 500 kW einen Einspeisepreis von EUR 0,11670/kWh bis zum 31.12.2031 zu vergüten.
2. Die Widerklage wird abgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Nebenintervention.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 83.425,85 EUR festgesetzt (Klage 56.000,00 EUR; Widerklage 27.425,85 EUR).
Gründe
I. Die Parteien streiten um eine erhöhte Einspeisevergütung nach § 23 Abs. 5 EEG in der Fassung vom 11.8.2010 (im Folgenden: § 23 EEG 2009).
Die Klägerin betreibt die Wasserkraftanlage in der J.-Straße in G. mit der Anlagennummer.... Das Wasserkraftwerk ... wurde vor dem 01.01.2009 in Betrieb genommen. Die Klägerin baute 2011 am Hauptwehr einen Mindestwasserabfluss ein. Hierfür wurde eine viereckige Öffnung mit einer Breite von 1 m und einer Mindestüberfallhöhe von 38 cm hergestellt.
2017 speiste die Klägerin 458.662 kWh, 2018 345.088 kWh und bis Februar 2019 85.829 kWh in das Netz der Beklagten ein und erhielt dafür zusätzlich zur Vergütung von 7,67 Cent/kWh eine weitere Vergütung in Höhe von 4 Cent/kWh, was 11,67 Cent/kWh entspricht.
Mit dem "Gutachten zur Prüfung der Voraussetzungen zur Stromvergütung gemäß § 23 EEG 2009" vom April 2011 zum Stichtag 23.02.2011 (Anlage K 1) bestätigte der Streithelfer, dass mit der Herstellung des Mindestwasserabflusses eine wesentliche ökologische Verbesserung eingetreten sei. Die Klägerin übersandte diese Gutachten mit Schreiben vom 21.04.2011 (Anlage K 2) an die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit der Bitte um "Prüfung und Anerkennung der erhöhten Einspeisevergütung ab 24.02.2011". Die Rechtsvorgängerin der Beklagten bezahlte daraufhin ab dem 24.02.2011 die erhöhte Einspeisevergütung.
Mit Schreiben vom 16.01.2019 (Anlage K 3) teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass infolge einer Information des Landesnaturschutzverbandes Baden-Württemberg das Gutachten vom 23.02.2011 nicht den fachlichen Mindestanforderungen entspreche. Mit Schreiben über ihre Muttergesellschaft ... AG vom 14.10.2019 (Anlage K 5) kündigte die Beklagte an, ab Oktober 2019 die Einspeisevergütung auf 7,67 Cent/kWh zu reduzieren.
Die Klägerin erhob Klage zum Landgericht Stuttgart, mit welcher sie die Feststellung der Beklagten zur Zahlung der erhöhten Einspeisevergütung bis zum 31.12.2031 begehrte.
Sie ist der Auffassung, die Beklagte habe durch vorbehaltlose Zahlung der erhöhten Vergütung diese rechtsverbindlich anerkannt, jedenfalls sei die erhöhte Vergütung rechtsgeschäftlich bindend vereinbart worden. Ferner sei die Beklagte an die Einschätzung des Streithelfers gebunden und habe kein eigenes Prüfungsrecht. Ein etwaiges Prüfungsrecht wäre im Übrigen zwischenzeitlich verwirkt aufgrund der langen Dauer der vorbehaltlosen Zahlung. Ein etwaiger Rückforderungsanspruch sei nach § 814 BGB ausgeschlossen. Im Übrigen sei durch die Modernisierungsmaßnahme tatsächlich eine wesentliche ökologische Verbesserung eingetreten.
Die Beklagte verlangte widerklagend die Rückzahlung der seit 2017 an die Klägerin bezahlten erhöhten Einspeisevergütung in Höhe vo...