Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Anforderungen an das Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums des Fahrzeugherstellers über die Unzulässigkeit eines "Thermofensters" - hier Kauf nach Softwareupdate.
2. Der in erster Instanz siegreiche Kläger in einem Dieselfall muss zur Einführung des (Hilfs-)Antrags auf Zuerkennung des Differenzschadens keine Anschlussberufung einlegen.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; Verordnung (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 S. 1; ZPO § 524
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 07.10.2022; Aktenzeichen 29 O 173/22) |
Tenor
Mit Zustimmung der Parteien wurde im Termin zur mündlichen Verhandlung der Übergang ins schriftliche Verfahren angeordnet und der Schluss der mündlichen Verhandlung auf den 15.08.2023 festgesetzt false false false 3.0.0
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 07.10.2022, Az. 29 O 173/22, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 19.000 EUR
Gründe
I. Die Klagepartei nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
A. Die Klagepartei kaufte am 24.09.2021 von einem am Rechtsstreit nicht beteiligten Dritten das streitgegenständliche Fahrzeug XY A 220d als Gebrauchtfahrzeug mit einer damaligen Laufleistung von 112.300 km zu einem Preis von 18.200 EUR. Das Fahrzeug war von der Beklagten unter Verwendung eines Motors mit der Bezeichnung OM 651 hergestellt worden und verfügt über eine EG-Typgenehmigung nach der Schadstoffklasse Euro 6.
In dem Fahrzeug kommt eine Abgasrückführung (AGR) zur Anwendung, bei der das im Rahmen der Verbrennung entstandene Abgas in den Brennraum zurückgeleitet wird und somit erneut an der Verbrennung teilnimmt, was sich mindernd auf die Stickoxidemissionen (NOx-Emissionen) auswirkt. Die AGR arbeitet bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug u.a. temperaturgesteuert, wird also beim Unterschreiten einer Schwellentemperatur reduziert.
Die sogenannte "Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung" (KSR), auch als "geregeltes Kühlmittelthermostat" bezeichnet, bei der die - durch den Einsatz einer Kühlung - verzögerte Erwärmung des Motoröls zu niedrigeren NOx-Emissionen führt, über welche das streitgegenständliche Fahrzeug ursprünglich verfügte, wurde noch vor dem Erwerb des Fahrzeugs durch die Klagepartei durch ein am 04.03.2020 aufgespieltes Software-Uptdate ausbedatet.
Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt nicht über ein SCR-System (selektive katalytische Reduktion). Dabei handelt es sich um eine Abgasnachbehandlung mit dem Harnstoffgemisch AdBlue, das durch die hohen Temperaturen im Abgassystem in Ammoniak umgewandelt wird, der anschließend in einem SCR-Katalysator mit den im Abgas enthaltenen Stickoxiden zu Stickstoff und Wasser reagiert.
Erstinstanzlich hat die Klagepartei beantragt für Recht zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Euro 17.838,53 nebst Zinsen aus Euro 17.838,53 hieraus in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 22.03.2022 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des PKW Typs Z A-Klasse, FIN: ....
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Antrag I genannten Fahrzeugs seit dem 23.03.2022 in Verzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von Euro 1.398,25 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten freizustellen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
B. Das Landgericht hat in der Sache wie folgt für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 16.326,74 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 19.08.2022 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW Typs Z A-Klasse mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer ....
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des PKW Typs Z AKlasse mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer ... in Verzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.214,99 Euro freizustellen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Landgericht u.a. ausgeführt, der Klagepartei stehe ein Zahlungsanspruch in der tenorierten Höhe gemäß §§ 826, 31 BGB zu.
C. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit dem Ziel einer vollständigen Klageabweisung Berufung eingelegt.
Die Beklagte beantragt mit ihrer Berufung für Recht zu erkennen:
die Klage unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Stuttgart vom 07.10.2022 (Az.: 29 O 173/22) in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klagepartei b...