Entscheidungsstichwort (Thema)
Geburtstagslied
Leitsatz (amtlich)
1. Der Bearbeiter eines Werkes kann auch ohne Einwilligung des Urhebers des bearbeiteten Werks ein Bearbeiterurheberrecht erwerben.
2. Werden Text und Melodie eines Liedes bearbeitet, entstehen getrennte Bearbeiterurheberrechte an bearbeitetem Text und bearbeiteter Melodie (sofern die übrigen Voraussetzungen vorliegen, insbesondere die erforderliche Schöpfungshöhe der Bearbeitungen), da Musik und Text eines Musikstückes unterschiedlichen Werkarten angehören. § 65 Abs. 3 UrhG ändert hieran nichts.
3. Ungeschützte Teile eines Werks können diesem entnommen und dürfen in veränderter Form veröffentlicht und verwertet werden. Dies gilt auch für Entnahmen aus einem Bearbeitungswerk, etwa aus einem bearbeiteten Liedtext oder einer Übersetzung.
4. Auch wenn an die Schutzfähigkeit von Liedtexten geringe Anforderungen zu stellen sind, so bleiben banale Textzeilen, solche, bei denen es sich um allgemeine sprachliche Begriffe ohne besondere Originalität oder Schöpfungshöhe handelt, und ganz kurze Textteile schutzlos, auch wenn sie mehrfach wiederholt werden (hier: die Worte "Zum Geburtstag").
5. Der Grundsatz, dass für die tatrichterliche Beurteilung der schöpferischen Eigentümlichkeit eines Werkes der Musik die Hilfe eines Sachverständigen im Regelfall unerlässlich ist (BGH GRUR 2015, 1189 Rn. 64 - Goldrapper), gilt nicht für Sprachwerke und damit auch nicht für Liedtexte.
6. Ausnahmsweise kann jedenfalls ein für Urheberstreitsachen speziell zuständiger Tatrichter auch die Schutzfähigkeit der Bearbeitung einer Melodie beurteilen, wenn die Veränderungen seinem Verständnis ausreichend zugänglich sind und es deshalb des besonderen musikalischen Sachverstands eines Musikwissenschaftlers nicht bedarf; dies kommt insbesondere bei nur geringfügigen Veränderungen in Betracht (hier: geringfügige Änderungen des Rhythmus, die den Charakter der Originalmelodie unverändert lassen).
7. § 3 Satz 2 UrhG gilt nicht für vor dem 01.07.1985 bearbeitete Werke.
Normenkette
UrhG § 2 Abs. 1 Nrn. 1-2, Abs. 2, §§ 3, 65 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Aktenzeichen 17 O 384/19) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten/Widerklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 10.09.2019, Az. 17 O 384/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte/Widerklägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Stuttgart sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte/Widerklägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin/Widerbeklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4 .Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 40.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beklagte/Widerklägerin (i. F.: Beklagte) macht gegen die Klägerin/Widerbeklagte (i. F.: Klägerin) urheberrechtliche Ansprüche wegen der Verwendung eines Liedes geltend.
1. Die Klägerin ist ein Zusammenschluss von Einzelhändlern auf genossenschaftlicher Basis, die sich auf den Verkauf von Haushalts-, Telekommunikations- und Unterhaltungselektronik unter der gemeinsamen Dachmarke Exxx spezialisiert haben. Die Beklagte betreibt einen Verlag (Exxx Exxx-Mxxx).
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin urheberrechtlich berechtigt war, ohne Einwilligung der Beklagten einen auf dem Lied "Zum Geburtstag viel Glück" basierenden Radiospot (wiedergegeben auf der Anl. K 2, Bl. 15) zum Zwecke der Rundfunkwerbung öffentlich zu nutzen.
Die Beklagte sah hierin eine Verletzung ihrer Urheberrechte und forderte die Klägerin mit anwaltlichem Abmahnschreiben vom 01.04.2019 zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, zur Auskunft sowie zur Anerkennung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach auf (Anlage K 1, BI. 14 d. A.).
Die Klägerin hat daraufhin die Beklagte im Wege der negativen Feststellungsklage in Anspruch genommen; ferner hat sie die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten begehrt (Bl. 1 ff.). Die Beklagte hat in der Folge Widerklage erhoben und die Klägerin auf Unterlassung, Auskunft, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Erstattung der Abmahnkosten in Anspruch genommen. Nach Erhebung der Widerklage haben die Parteien die Klageanträge mit Ausnahme des Antrags auf Erstattung der Anwaltskosten übereinstimmend für erledigt erklärt.
Bei dem Lied "Zum Geburtstag viel Glück" handelt es sich um die im Jahr 1971 vom Vater der Beklagten, Exxx L. Fxxx, erstellte deutsche Version des aus den USA stammenden Liedes "Happy Birthday to you". Dieses Lied ist unstreitig jedenfalls seit 2016 gemeinfrei. Das ihm zugrundeliegende Originalwerk der Autorinnen Mildred Hill (verstorben im Jahr 1916) und Patty Smith Hill (verstorben im Jahr 1946) wurde im 19. Jahrhundert unter dem Werktitel und Text "Good Morning to all" als Begrüßungslied für die Arbei...