Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 30.10.2020; Aktenzeichen 18 O 173/20) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Stuttgart vom 30.10.2020 (Az. 18 O 173/20) wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Dieses Urteil und das Urteil des LG Stuttgart sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrags, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags erbringt.
4. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert: 16.427,17 EUR
Gründe
I. Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit dem Erwerb eines von der Beklagten hergestellten Kraftfahrzeugs.
Er erwarb am 3.9.2015 für 24.400 EUR einen XYS TDI (Kaufvertrag Anlage K1, Bl. 29 d.A.) als Gebrauchtwagen mit einer Laufleistung von 72.390 km. Das Fahrzeug wurde übergeben, der Kaufpreis bezahlt.
Das Fahrzeug war mit einem Dieselmotor vom Typ EA 189 (EU 5), der vom sogenannten "Abgasskandal" betroffen ist, ausgestattet. Der Kläger verlangt von der Beklagten, der Herstellerin des Motors, Schadensersatz.
Für das Fahrzeugmodell lag zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs wie auch zum Zeitpunkt des Erwerbs durch den Kläger eine EG-Typgenehmigung vor. Die Motorsteuergerätesoftware verfügte über eine Fahrzykluserkennung; diese erkennt, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt. Die Software weist zwei unterschiedliche Betriebsmodi auf. Im NEFZ schaltet sie in den Modus 1, in dem es zu einer höheren Abgasrückführungsrate und zu einem verminderten Ausstoß von Stickoxiden (NOx) kommt. Außerhalb des NEFZ wird das Fahrzeug im Modus 0 betrieben.
Mitte Oktober 2015 ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) gegenüber der Fahrzeugherstellerin den Rückruf von 2,4 Millionen betroffenen Fahrzeugen an und vertrat die Auffassung, dass es sich bei der in den Fahrzeugen verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Es ordnete an, die entsprechende Software aus allen Fahrzeugen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
1. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da die geltend gemachten Ansprüche aus § 826 BGB mit Ablauf des Jahres 2018 verjährt seien.
2. Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers.
Die Voraussetzungen für den Beginn der Verjährung seien im Jahr 2015 noch nicht erfüllt gewesen, da der Kläger 2015 noch nicht ausreichende Kenntnisse von den die Sittenwidrigkeit begründenden Ansprüche gehabt habe. Grob fahrlässige Unkenntnis sei nicht anzunehmen.
Jedenfalls sei durch das Aufspielen des Software-Updates eine neue Verjährung in Gang gesetzt worden, da damit ein Thermofenster implementiert worden sei, welches wiederum eine - neue - illegale Abschalteinrichtung darstelle. Der Kläger habe darauf vertraut, dass durch das Update ein gesetzmäßiger Zustand hergestellt werde und deshalb von der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen abgesehen.
Sollte dennoch Verjährung eingetreten sein, stünde dem Kläger jedenfalls ein Anspruch aus § 852 BGB in Höhe des geltend gemachten Anspruchs zu. Die Vorschrift sei auf den streitgegenständlichen Fahrzeugerwerb anwendbar. Der bezahlte Verkaufspreis sei der Beklagten abzüglich Händlermarge zugeflossen. Auf Umstände, die die Bereicherung minderten, könne sich die Beklagte aufgrund der verschärften Haftung nicht berufen.
Der Kläger beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 15.190,21 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs XYS mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ....
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu Ziffer 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerschaft von vorgerichtlichen Kosten für die Rechtsverfolgung in Höhe von 2.094,49 EUR freizustellen.
3. Die Beklagte beantragt:
Zurückweisung der Berufung.
Das Landgericht habe die Ansprüche zutreffend und im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH als verjährt angesehen. Das Thermofenster sei gegenüber dem KBA offengelegt worden, es handle sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung.
Ein Anspruch aus § 852 S. 1 BGB sei ausgeschlossen, weil dem Kläger kein wirtschaftlicher Schaden entstanden sei. Die Vorschrift sei aufgrund teleologischer Reduktion nicht auf Käufer anzuwenden, die ihre Ansprüche zum Musterfeststellungsverfahren hätten anmelden können, da sie danach nur auf Konstellationen mit besonderem Prozessrisiko anwendbar sei. Ein sol...