Leitsatz (amtlich)
1. Es liegt kein unzulässiger In-sich-Prozess vor, wenn eine Verwalterin als gewillkürte Vertreterin namens der Wohnungseigentümergemeinschaft gegen sich selbst klagt.
2. Wärmedämmverbundsysteme bedürfen in Baden-Württemberg seit dem 9.9.1995 einer allgemeinen baurechtlichen Zulassung (§ 18 LBO) oder einer Zustimmung im Einzelfall (§ 20 LBO). Ein allgemeines baurechtliches Prüfzeugnis genügt nicht, weil ein Wärmedämmverbundsystem statischen Anforderungen genügen muss und damit auch der Erfüllung erheblicher Anforderungen an die Sicherheit der baulichen Anlage dient.
3. Ohne besondere Vereinbarung verspricht der Unternehmer stillschweigend bei Vertragsschluss die Einhaltung der einschlägigen Gesetze und der allgemein anerkannten Regeln der Technik. Entspricht die Werkleistung diesen nicht, liegt regelmäßig ein Werkmangel vor.
Allein dass bei Errichtung eines Wärmedämmverbundsystems Bauprodukte verwendet wurden, für die eine allgemeine baurechtliche Zulassung nach LBO nicht festzustellen ist, und deren Verwendbarkeit für einen dem Zweck entsprechenden angemessenen Zeitraum und deren Gebrauchstauglichkeit nicht nachgewiesen ist, macht das Werk mangelhaft.
4. Die Klausel in allgemeinen Geschäftsbedingungen
"Das gemeinschaftliche Eigentum wird für die Wohnungseigentümer durch einen vereidigten Sachverständigen abgenommen"
ist nach § 9 Abs. 1 AGBG (jetzt: § 307 Abs. 1 BGB) unwirksam, weil sie dem einzelnen Erwerber nicht die Möglichkeit offen lässt, das Gemeinschaftseigentum selbst abzunehmen oder von einer Vertrauensperson eigener Wahl abnehmen zu lassen, sondern diesen unwiderruflich verpflichtet, mit der Abnahme einen Sachverständen zu beauftragen und auf sein Recht aus § 640 Abs. 1 BGB zu verzichten, die Prüfung der Abnahmefähigkeit selbst vorzunehmen und die Abnahme selbst zu erklären.
5. Die Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen
"Der Sachverständige ist in der ersten Wohnungseigentümer-Versammlung durch Beschluss zu bestellen; er führt die Abnahme in Vertretung der einzelnen Wohnungseigentümer für diese durch, wozu er heute schon vom Käufer bevollmächtigt wird."
ist nach § 9 Abs. 1 AGBG (jetzt: § 307 Abs. 1 BGB) unwirksam, weil dadurch dem Erwerber das Recht genommen wird, über die Abnahmefähigkeit des Werks selbst zu entscheiden. Darüber hinaus verstößt die Klausel gegen das Transparenzgebot, weil für den jeweiligen Erwerber nicht erkennbar wird, dass die Vollmacht widerruflich ist und er jederzeit selbst die Abnahme erklären kann.
6. Gehen beide Parteien eines Erwerbervertrags davon aus, dass die Abnahme durch einen Sachverständigen erfolgen würde bzw. erfolgt ist, enthält die Zahlung des Restkaufpreises oder die Ingebrauchnahme der Wohnungen nicht die Erklärung, das Gemeinschaftseigentum sei im Wesentlichen vertragsgerecht hergestellt.
Normenkette
BGB § 181; BGB n.F. § 307 Abs. 1; LBO BW §§ 18, 20; AGBG § 9 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 20.03.2014; Aktenzeichen 25 O 46/13) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Stuttgart vom 20.3.2014 - 25 O 46/13, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil des LG Stuttgart vom 20.3.2014 - 25 O 46/13, ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Das Berufungsurteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus dem Berufungsurteil durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 251.145,60 EUR
Gründe
I. Die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft macht einen Vorschussanspruch zur Mängelbeseitigung und Schadensersatz geltend.
Die Beklagte hatte als Bauträgerin das Gebäude W. in L. errichtet. Im Erdgeschoss der Anlage befindet sich ein Kindergarten; in den Obergeschossen befinden sich sechs Eigentumswohnungen. Die Beklagte veräußerte die Miteigentumsanteile an die Mitglieder der klagenden Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Streithelferin Ziff. 1 war planende und bauleitende Architektin des Bauvorhabens; die Streithelferin Ziff. 2 ist nach dem bestrittenen Vortrag der Klägerin Rechtsnachfolgerin der von der Beklagten mit der Erstellung des Bauvorhabens beauftragten Bauunternehmung.
Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des LG Stuttgart vom 20.3.2014 - 25 O 46/13 - Bezug genommen.
Das LG hat die Beklagte verurteilt, einen Vorschuss für die Beseitigung der im selbständigen Beweisverfahren des LG Stuttgart, AZ: 25 OH 20/08, festgestellten Mängel am Wärmedämmverbundsystem/Attika i.H.v. 231.145,60 EUR nebst Zinsen zu bezahlen. Zudem wurde die Beklagte verurteilt, der Klägerin jegliche weiteren Kosten und Schäden zu ersetzen, die der Klägerin durch die Beseitigung der vorhandenen Mängel am Wärmedämmverbundsystem/der Attika über den bezifferten Betrag hinaus entstehen. Ferner wurde die Beklagte verurteilt, an die Kläger...