Leitsatz (amtlich)
Ausgehend von den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 19.12.2019 (C-355 /18 bis C-357/18 und C-479/18) ist es einem Versicherungsnehmer jedenfalls dann verwehrt, sich auf eine Fehlerhaftigkeit der ihm erteilten Widerspruchsbelehrung nach § 5a VVG a.F. zu berufen, wenn sich der Belehrungsfehler (hier: Angabe einer Widerspruchsfrist von 1 Monat statt 30 Tage) im konkreten Fall nicht auswirken kann (abweichend von BGH, Urteil vom 15.07.2015 - IV ZR 386/13).
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Aktenzeichen 22 O 457/20) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 31.05.2021, Az. 22 O 457/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Stuttgart ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte hinsichtlich der Kosten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 Prozent des nach den Urteilen vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 9.002,90 EUR
Gründe
I. Der Kläger macht mit der Klage bereicherungsrechtliche Ansprüche nach einem Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. eines im sogenannten Policenmodell abgeschlossenen Rentenversicherungsvertrags mit Berufsunfähigkeitsvorsorge geltend.
Die Beklagte policierte auf Antrag des Klägers den Lebensversicherungsvertrag mit der Versicherungsschein Nr. ... vom 04.09.2007 (Anl. K1). Im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss wurde dem Kläger auch ein Policenbegleitschreiben gleichen Datums überlassen sowie die Versicherungsbedingungen mit der Verbraucherinformation.
Die Widerspruchsbelehrung befindet sich auf der ersten Seite des zweiseitigen Policenbegleitschreibens, ist als einziger Text eingerückt und kursiv gedruckt. Sie lautet wie folgt:
"Dieser Vertrag gilt als abgeschlossen, wenn Sie nicht innerhalb eines Monats nach Erhalt des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen in Textform (z.B. schriftlich, per Telefax oder E-Mail) widersprechen. Um die Frist einzuhalten, genügt es, Ihren Widerspruch rechtzeitig abzusenden."
Mit Schreiben vom 07.01.2020 (Anl. DB2) erklärte der Kläger den Widerspruch gegen den Versicherungsvertrag, woraufhin die Beklagte einen Betrag in Höhe von 3.993,54 EUR an ihn ausbezahlte.
Mit Schreiben vom 02.04.2020 forderten die Prozessbevollmächtigten des Klägers von der Beklagten weitere Leistungen. Dies wies die Beklagte zurück.
Das Landgericht hat die Stufenklage, gerichtet zuletzt auf Auskunft, Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung und Zahlung, einschließlich Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, mit der Begründung vollumfänglich abgewiesen, die dem Kläger seinerzeit erteilte Widerrufsbelehrung sei wirksam. Sie sei ausreichend drucktechnisch hervorgehoben. Zwar sei sie inhaltlich insofern nicht ganz korrekt, als eine Frist von einem Monat angegeben worden ist, wohingegen sich die Frist nach dem seinerzeit gültigen VVG auf lediglich 30 Tage belief. Der Kläger sei jedoch hierdurch nicht daran gehindert worden, sein Widerrufsrecht unter den im wesentlichen gleichen Bedingungen zu widerrufen, weil er im konkreten Einzelfall aufgrund der tatsächlichen Belehrung (1 Monat) von exakt demselben Fristende habe ausgehen müssen wie im Falle einer inhaltlich korrekten Belehrung (30 Tage). Der Fristbeginn sei in der Belehrung zutreffend an den Erhalt von Versicherungsschein, Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen geknüpft, es sei nicht notwendig gewesen, extra darauf hinzuweisen, dass diese vollständig sein müssen.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren in vollem Umfang weiter. Er hält die Widerrufsbelehrung weiterhin für unwirksam und meint, ihm stünden die beantragten Auskunftsansprüche zu.
Er beantragt,
das am 31.05.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Stuttgart zu ändern und wie folgt neu zu fassen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger bezüglich des Versicherungsvertrags Nr. ... geordnet Auskunft darüber zu erteilen:
a) auf welche einzelnen Bestandteile (wie z.B. Verwaltungskosten, Abschlusskosten, Risikokosten, Sparbetrag der für den Kläger angelegt wurde) die von dem Kläger gezahlten Prämien aufgeteilt wurden und wie hoch diese Anteile (absolut oder prozentual) sind,
b) soweit die Aufteilung auf die einzelnen Bestandteile nicht über die gesamte Prämienzahlungszeitraum gleich blieben, mitzuteilen, für welche Monate oder Beitragszahlungen welche Aufteilung (absolut oder prozentual) stattfand,
c) wann welche Anteile der gezahlten Prämien (Kosten) abgeflossen - also nicht mehr im Vermögen der Beklagten vorhanden waren - sind und wohin diese abflossen,
d) wie die nicht oder noch nicht abgeflossenen Anteile der gezahlten Prämien in der gesamte...