Entscheidungsstichwort (Thema)

Ergänzungspflegschaft

 

Leitsatz (amtlich)

Stehen sich die minderjährigen Kinder eines Elternpaares in einem Strafverfahren als Beschuldigter und mutmaßliches Opfer gegenüber, sind die Eltern nicht schon kraft Gesetzes an der Entscheidung über das Zeugnisverweigerungsrecht des mutmaßlichen Opfers gehindert. Die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft zur Ausübung der Zeugen- und Opferrechte setzt daher den vorherigen Entzug der entsprechenden Vertretungsrechte der Eltern voraus.

 

Normenkette

BGB § 1629 Abs. 2 S. 3, §§ 1796, 1909 Abs. 1 S. 1; StPO § 52 Abs. 2

 

Verfahrensgang

AG Rockenhausen (Entscheidung vom 20.04.2018; Aktenzeichen 5 F 36/18)

 

Tenor

I. 1. Auf die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1. und 2. (Kindeseltern) wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Rockenhausen vom 20. April 2018 aufgehoben.

2. Der Antrag der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern auf Anordnung der Ergänzungspflegschaft vom 17. April 2018 wird zurückgewiesen.

II. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

III. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1. und 2. (Kindeseltern) ist gem. § 58 FamFG statthaft und auch ansonsten verfahrensrechtlich bedenkenfrei.

Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Die Voraussetzungen für die vom Familiengericht mit der angefochtenen Entscheidung vom 20. April 2018 angeordneten Ergänzungspflegschaft liegen nicht vor.

Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und der Antrag der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern auf Anordnung einer Ergänzungspflegschaft zurückzuweisen.

Gem. § 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB ist für denjenigen, der unter elterlicher Sorge steht, für Angelegenheiten an deren Besorgung die Eltern verhindert sind, ein Pfleger zu bestellen.

Voraussetzung für eine solche Ergänzungspflegerbestellung ist somit, dass die Eltern an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert sind.

Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Soweit das Familiengericht in der angefochtenen Entscheidung davon ausgeht, dass die Eltern gem. § 52 Abs. 2 StPO an der Vertretung des Kindes gehindert sind, ist dies nicht richtig. Gem. § 52 Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz StPO ist der gesetzliche Vertreter nur dann an einer Vertretung des Kindes gehindert, wenn er selbst Beschuldigter ist.

Die Vorschrift des § 52 Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz StPO kann im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des § 52 Abs. 2 Satz 2 zweiter Halbsatz StPO z. B. auch nicht entsprechend auf den Fall angewandt werden, dass der nichtbeschuldigte Elternteil allein sorgeberechtigt ist (Brandenburgisches OLG FamRZ 2012, 1068 - 1069).

In der hier zu beurteilenden Fallkonstellation ist kein Elternteil beschuldigt. Vielmehr stehen sich die beiden minderjährigen Söhne der beteiligten Eltern, der 16-jährige S. und der 8-jährige K., als Beschuldigter und mußmaßliches Tatopfer gegenüber. Die genannte Vorschrift kann daher erst recht nicht angewandt werden.

Eine Verhinderung der Kindeseltern an der Vertretung des Kindes kann auch nicht aus §§ 1629 Abs. 2 Satz 1, 1795 BGB hergeleitet werden, weil es hier nicht um ein Rechtsgeschäft im Sinne des § 1795 BGB geht.

Dies bedeutet, dass die Kindeseltern jedenfalls derzeit nicht an einer Vertretung des Kindes gehindert sind, mithin die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft nicht in Betracht kommt.

Ob den Kindeseltern die Vertretung für das Kind gem. §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB entzogen werden kann, muss einer Prüfung in einem entsprechenden (erstinstanzlichen) Verfahren vorbehalten bleiben.

Durch die angefochtene Entscheidung wurde eine Entziehung der elterlichen Vertretungsmacht weder ausdrücklich noch konkludent angeordnet. Eine solche Entziehung ist von der Staatsanwaltschaft auch nicht beantragt worden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 FamFG.

Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 2 FamFG) liegen nicht vor.

Die Festsetzung des Verfahrenswertes gründet sich auf § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 12772626

FamRZ 2019, 811

FuR 2019, 356

FF 2019, 172

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