Leitsatz (amtlich)
Eine freiwillige verkehrspsychologische Maßnahme ist zwar nicht schlechterdings ungeeignet, im Rahmen der Bemessung der Geldbuße Berücksichtigung zu finden und gegebenenfalls zu einer Reduzierung der Regelgeldbuße zu führen; es müssen aber weitere Umstände, die zugunsten des Betroffenen sprechen, hinzutreten, um diesen Gesichtspunkt dergestalt aus den gewöhnlichen Fällen herauszuheben, dass ein Abweichen vom Regelsatz gerechtfertigt erscheint.
Verfahrensgang
AG Speyer (Entscheidung vom 13.02.2022) |
Tenor
- Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Speyer vom 13.02.2022 im Ausspruch über die Höhe der Geldbuße aufgehoben. Er wird zu einer Geldbuße in Höhe von 100 € verurteilt.
- Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen.
- Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG).
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 26 km/h zu einer Geldbuße von 100 € verurteilt. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts.
Die originär zuständige Einzelrichterin hat die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen und die Sache mit Beschluss vom 21.12.2022 auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 80a Abs. 1 und 3 OWiG). Das Rechtsmittel bleibt im Ergebnis der Erfolg versagt.
I.
Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene am 09.11.2020 gegen 19.38 Uhr auf der B 9 Richtung Ludwigshafen am Rhein die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h nach Abzug einer Toleranz um 26 km/h überschritt. Aufgrund der mehrfachen, beidseitigen Beschilderung vor der Messstelle hätte er die Anordnung der Geschwindigkeitsbegrenzung und seinen Verstoß hiergegen erkennen können und müssen.
Das Amtsgericht hat die Regelbuße in Höhe von 80 € wegen einer früheren Ahndung eines Rotlichtverstoßes um 20 € erhöht. Im Rahmen der Bemessung der Geldbuße hat es ausgeführt, dass die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung nicht geeignet sei, die Herabsetzung der Geldbuße zu rechtfertigen. Eine solche Maßnahme habe nach § 4 Abs. 7 StVG zur Folge, dass bei einem Punktestand von einem bis fünf Punkten ein bereits erworbener Punkt abgezogen werden, nicht aber, dass zusätzlich bei einer weiteren Verkehrsordnungswidrigkeit die Geldbuße zu reduzieren sei.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang begründet. Die sachlich-rechtliche Überprüfung weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen bei der Bemessung der Geldbuße auf. Im Übrigen ist sie unbegründet (§ 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Ausführungen des Amtsgerichts, dass die Teilnahme an einer freiwilligen verkehrspsychologischen Maßnahme nicht zu einer Reduzierung der Geldbuße führen kann, halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Insoweit gilt:
a) Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 OWiG ist Grundlage für die Bemessung der Geldbuße die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und des Vorwurfs, der den Täter trifft. Als Ausgangspunkt für die Bemessung einer Geldbuße, die für eine straßenverkehrsrechtliche Ordnungswidrigkeit verhängt werden soll, ist grundsätzlich der Bußgeldkatalog heranzuziehen. Dieser dient der gleichmäßigen Behandlung sehr häufig vorkommender, wesentlich gleichgelagerter Sachverhalte (OLG Frankfurt, Beschluss vom 29.09.2022 - 3 Ss-OWi 1048/22, juris Rn. 17; vgl. auch BR-Drucks. 140/89 S. 22 f.). Er hat die Qualität eines für Gerichte verbindlichen Rechtssatzes. Die darin enthaltenen Bußgeldbeträge sind Regelsätze (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BKatV) und als solche Zumessungsrichtlinien, die im Rahmen des § 17 Abs. 3 OWiG Berücksichtigung zu finden haben (s. BGH, Beschluss vom 28.11.1991 - 4 StR 366/91, BGHSt 38, 125, 132; OLG Frankfurt, Beschluss vom 29.09.2022 - 3 Ss-OWi 1048/22, juris 17; jeweils mwN; KG, Beschluss vom 18.05.2015 - 3 Ws [B] 168/15, juris Rn. 8; Janiszewski, NJW 1989, 3113, 3115). Dabei geht § 1 Abs. 2 BKatV von fahrlässiger Begehung und gewöhnlichen Tatumständen aus. Bei der gleichwohl vorzunehmenden individuellen Zumessungsentscheidung ist zu prüfen, ob Milderungs- oder Erschwerungsgründe vorliegen, die ein Abweichen von den Regelsätzen rechtfertigen (KG, aaO; OLG Karlsruhe, Beschluss 13.10.2006 - 1 Ss 82/06, NJW 2007, 166). Hierbei kann grundsätzlich auch das Verhalten des Betroffenen nach dem begangenen Verstoß Berücksichtigung finden und zu einer Erhöhung oder Ermäßigung der Regelgeldbuße führen (vgl. Mitsch in KK-OWiG, 5. Aufl., § 17 Rn. 66; Krenberger in BeckOK StVR, 18. Ed., § 17 OWiG Rn. 5).
Aufgrund des vorgenannten Zwecks des Bußgeldkatalogs rechtfertigt indes lediglich ein deutliches Abweichen vom Normalfall betreffend die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit oder die Vorwerfbarkeit eine Abweichung vom Bußgeldkatalog. Sind hingegen außergewöhnliche, besondere Umstände hins...