Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtliche Betreuung
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Notwendigkeit der Differenzierung zwischen Betreuungsbedürftigkeit und Betreuungsbedarf bei der Prüfung der Frage, ob eine rechtliche Betreuung erforderlich ist.
2. Die - erstmalige - Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts ist dem LG als Gericht der Erstbeschwerde aus Rechtsgründen verwehrt.
Normenkette
BGB §§ 1896, 1903
Verfahrensgang
LG Zweibrücken (Beschluss vom 13.08.2004; Aktenzeichen 4 T 208/03) |
AG Pirmasens (Beschluss vom 20.10.2003; Aktenzeichen XVII 98/02) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss und der Beschluss des AG - VormG - Pirmasens vom 20.10.2003 betreffend die Anordnung von Betreuung werden aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die etwaige Erstattung von Auslagen des Betroffenen in allen Rechtszügen, an das AG - VormG - Pirmasens zurückverwiesen.
Gründe
1. Das Rechtsmittel des Betroffenen ist als weitere Beschwerde (§ 27 Abs. 1 FGG) gegen die Anordnung von Betreuung statthaft, nicht an eine Frist gebunden und auch im Übrigen verfahrensrechtlich bedenkenfrei (§§ 29 Abs. 1 und Abs. 4, 21 Abs. 2 S. 1 FGG). Die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen folgt jedenfalls aus § 66 FGG. Die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde wird auch nicht dadurch berührt, dass der vom VormG in der Betreuungsanordnung vom 20.10.2003 bestimmte Überprüfungszeitpunkt (20.10.2004) überschritten ist; denn die angeordnete Betreuung hat mit dem Verstreichen der gem. § 69 Abs. 1 Nr. 5 FGG festgesetzten Frist nicht automatisch geendet (Damrau/Zimmermann, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 69 FGG Rz. 20; Keidel/Kayser, FGG, 15. Aufl., § 69 Rz. 6; BayObLG FamRZ 1998, 1183 [1185]).
Der Senat entscheidet in der Besetzung, die durch den vom Präsidium des OLG Zweibrücken beschlossenen Geschäftsverteilungsplan in Verbindung mit der senatsinternen Geschäftsverteilung vorgegeben ist. Infolge eines Verhinderungsfalles ist dabei die Richterin am OLG S.-B. als planmäßige Vertreterin in die zur Entscheidung berufene Sitzgruppe eingerückt.
2. In der Sache führt die weitere Beschwerde zu einem jedenfalls vorläufigen Erfolg.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen beruhen auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO), weil die Tatrichter entgegen § 12 FGG den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt haben. Die bisherigen Tatsachenfeststellungen tragen nicht die angeordnete rechtliche Betreuung für die Besorgung praktisch aller Angelegenheiten des Betroffenen.
a) Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, bestellt das VormG auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 S. 1 BGB). Gegen den Willen des Betroffenen - so liegt der Fall hier - darf eine "Zwangsbetreuung" nur angeordnet werden, wenn der Betroffene aufgrund seiner psychischen Erkrankung oder seiner geistigen oder seelischen Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Dies sagt das Gesetz zwar nicht ausdrücklich, ergibt sich aber aus einer verfassungskonformen Auslegung (OLG Zweibrücken v. 8.4.2004 - 3 W 26/04, OLGReport Zweibrücken 2004, 565 [566] = FamRZ 2004, 1897, m.w.N.).
b) Bei der Prüfung der Frage, ob eine Betreuung erforderlich ist, muss zwischen Betreuungsbedürftigkeit und Betreuungsbedarf unterschieden werden: Erstere bezieht sich auf die Unfähigkeit des Volljährigen zur Besorgung seiner Angelegenheiten, Letzterer auf den Kreis der konkret zu besorgenden Angelegenheiten (BVerfG FuR 2002, 241; BayObLG FamRZ 1998, 1183 [1184], m.w.N.; Palandt/Diederichsen, BGB, 63. Aufl., § 1896 Rz. 9). Für eine sog. "Zwangsbetreuung" des Betroffenen müssen demgemäß bei diesem kumulativ folgende Voraussetzungen vorliegen (Meier, FPR 2004, 659):
- psychische Krankheit oder körperliche, geistige oder seelische Behinderung (subjektive Betreuungsvoraussetzungen)
- hieraus resultierendes Unvermögen, seine Angelegenheiten ganz oder teilweise zu besorgen (Kausalität/objektive Betreuungsvoraussetzungen)
- Erforderlichkeit der Betreuerbestellung wegen Nichtvorhandenseins anderer Hilfen (Angehörige, Freunde, Nachbarn, etc.) bzw. einer Vollmacht, § 1896 Abs. 2 BGB (Subsidiarität der Betreuungsanordnung).
c) Den hieran anknüpfenden Ermittlungs- und Begründungsanforderungen bei der Anordnung von Betreuung werden die Entscheidungen der Vorinstanzen im vorliegenden Fall nicht in jeder Hinsicht gerecht.
aa) Allerdings bestehen im Ausgangspunkt keine rechtlichen Bedenken gegen die Überzeugungsbildung der sachverständig beratenen Tatrichter, dass der Betroffene Merkmale seelischer Abnormität aufweist, die das Gewicht des Krankhaften haben.
Die Zivilkammer hat ausgeführt, der Betroffene leide nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. med. B. an einer schweren Persönlichkeitsstörung mit paranoiden und querulatorischen Anteilen. Diese zeige sich darin, dass der Betroffene im Antrieb deutlich angehoben sei, stellenweise...