Leitsatz (amtlich)
Wird unter Verstoß gegen § 74 Abs. 1 OWiG in Abwesenheit des Betroffenen verhandelt, so liegt hierin kein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn der Vortrag des Betroffenen tatsächlich berücksichtigt wurde und die verfahrensrechtlich gebotene Entscheidung die Verwerfung des Einspruchs ohne Verhandlung zur Sache gemäß § 74 Abs. 2 OWiG gewesen wäre.
Verfahrensgang
AG Ludwigshafen (Entscheidung vom 07.01.2022; Aktenzeichen 4i OWi 5187 Js 24462/22 jug) |
Tenor
- Der Antrag des Betroffenen, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 07.12.2022 zuzulassen, wird als unbegründet verworfen.
- Damit gilt die Rechtsbeschwerde als zurückgenommen.
- Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens werden dem Betroffenen auferlegt.
Gründe
I.
Die Stadt Ludwigshafen am Rhein hat gegen den Betroffenen am 01.03.2022 einen Bußgeldbescheid wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 26 km/h erlassen und darin eine Geldbuße von 180 EUR festgesetzt.
Nachdem der Betroffene hiergegen form- und fristgerecht Einspruch eingelegt hatte, ist Hauptverhandlungstermin auf den 07.12.2022 bestimmt worden. Der Betroffene ist zu diesem Termin nicht erschienen. Seine - nicht mit einer schriftlichen Vertretungsvollmacht versehene - Verteidigerin hat zu Beginn der Hauptverhandlung die Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen beantragt. Die Jugendrichterin des Amtsgerichts Ludwigshafen am Rhein hat diesem Antrag stattgegeben, ohne den Betroffenen zur Sache verhandelt und den Betroffenen wegen einer am 11.01.2022 als Führer eines Personenkraftwagens innerhalb geschlossener Ortschaften begangenen, fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 26 km/h zu einer Geldbuße von 100 Euro verurteilt.
Die Verteidigerin des Betroffenen hat in ihrem Schriftsatz vom 14.12.2022, der auch an diesem Tag bei dem Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein eingegangen ist, die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt. Nachdem das Urteil am 26.04.2023 der Verteidigerin zugestellt worden war, hat der Betroffene mit der am 26.05.2023 eingegangenen anwaltlichen Rechtsbeschwerdebegründung die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt und die Sachrüge erhoben.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 26.07.2023 beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil nicht zuzulassen.
Der Betroffene hatte Gelegenheit zur Gegenerklärung, hat hiervon jedoch keinen Gebrauch gemacht.
II.
Der Antrag die Rechtsbeschwerde zuzulassen war als unbegründet zu verwerfen.
In dem angefochtenen Urteil ist lediglich eine Geldbuße von nicht mehr als 100,- EUR festgesetzt worden. Nach § 80 Abs. 1 und 2 Nr. 1 OWiG darf daher die Rechtsbeschwerde nur zugelassen werden, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des materiellen Rechts zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
1. Zur Begründung nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft Zweibrücken in ihrer Antragsschrift vom 26.07.2023 Bezug, soweit dort zur Sachrüge und Fortbildung des Rechts ausgeführt wird.
2. Auch die Gehörsrüge dringt nicht durch. Mit ihr beanstandet der Betroffene, dass das Amtsgericht seinen Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen fehlerhaft beschieden, ohne seine Anwesenheit zur Sache verhandelt und hierdurch den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt habe. Eine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung kann auf der Grundlage des Rechtsbeschwerdevorbringens jedoch nicht festgestellt werden.
Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die erlassene Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. Art. 103 Abs. 1 GG geht davon aus, dass die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen bleiben muss (BVerfGE 9, 89 ≪95 f.≫; 74, 1 ≪5≫), und gewährt keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen. Bei der Verletzung solcher Vorschriften bedarf es aber jeweils der Prüfung, ob dadurch nicht zugleich das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verkürzt worden ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Februar 1992 - 2 BvR 700/91, juris, Rn. 14).
Grundsätzlich ist der Betroffene in einem Bußgeldverfahren zum Erscheinen in der Hauptverhandlung gemäß § 73 Abs. 1 OWiG verpflichtet, womit sein Anwesenheitsrecht als Ausprägung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör korrespondiert (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO). Der Betroffene kann allerdings auf sein Anwesenheitsrecht verzichten. Die Hauptverhandlung darf aber nur dann i...