Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindungswirkung eines von der herrschenden Ansicht abweichenden Versorgungsbeschlusses

 

Leitsatz (amtlich)

1. Einer von den Prozessparteien nach Klageerhebung getroffenen Vereinbarung, dass anstelle des angerufenen und zuständigen Gerichts ein anderes Gericht zuständig sein soll, steht die Sperre des § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO (Grundsatz der perpetuatio fori) entgegen.

2. Ein von dem angegangenen Gericht gleichwohl unter Berufung auf abweichende Rechtsmeinungen in Rechtsprechung und Schrifttum erlassener Verweisungsbeschluss ist nicht schon deshalb objektiv willkürlich, weil er von der ganz herrschenden Rechtsauffassung abweicht.

 

Normenkette

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 38; Zpo § 261 Abs. 3 Nr. 2; ZPO § 281 Abs. 2 S. 4

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Beschluss vom 18.04.2005; Aktenzeichen 322 O 334/04)

LG Zweibrücken (Beschluss vom 07.09.2004; Aktenzeichen 2 O 92/04)

 

Tenor

Als örtlich zuständiges Gericht wird das LG Hamburg bestimmt.

 

Gründe

I. Die in Hamburg wohnhafte Klägerin hat beim LG Zweibrücken, dem Wohnsitzgericht der Beklagten, Klage auf Rückabwicklung eines von den Parteien im April 2003 abgeschlossenen Kaufvertrages über ein Reitpferd erhoben. Nach Zustellung der Klageschrift, Terminsbestimmung und Anordnung der Vernehmung von Zeugen teilten die anwaltlichen Vertreter der Parteien mit, dass sich diese auf den Gerichtsstand Hamburg geeinigt hätten, weil dort und in der dortigen Umgebung der Wohnsitz sämtlicher Zeugen und sonstiger Auskunftspersonen sei. Entsprechend dem übereinstimmenden Antrag der Parteien verwies sodann die Einzelrichterin beim LG Zweibrücken den Rechtsstreit an das LG Hamburg. Das LG Hamburg hat die Übernahme abgelehnt, da eine unzulässige Zuständigkeitsvereinbarung nach Rechtshängigkeit vorliege. Es sieht die Verweisung durch das LG Zweibrücken als unzulässig und nicht bindend an und hat die Sache deshalb dem Pfälzischen OLG Zweibrücken zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II. 1. Das Pfälzische OLG Zweibrücken ist gem. § 36 Abs. 2 ZPO für die Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den LG Zweibrücken und Hamburg zuständig.

Die prozessualen Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind gegeben. Danach wird - auch auf Vorlage eines der am Zuständigkeitsstreit beteiligten Gerichte, ohne dass es in diesem Fall eines Parteiantrages bedürfte - das zuständige Gericht dann bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen mindestens eines zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

Derartige zuständigkeitsleugnende Entscheidungen liegen hier in dem Verweisungsbeschluss des LG Zweibrücken vom 7.9.2004 und in der Unzuständigkeitserklärung des LG Hamburg vom 18.4.2005. Diese Entscheidungen sind jeweils gem. § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO grundsätzlich unanfechtbar, somit rechtskräftig i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO. Sie bilden daher verfahrensrechtlich die Grundlage für die Bestimmung des zuständigen Gerichts.

2. Örtlich zuständig zur Entscheidung über das Klagebegehren ist das LG Hamburg, weil es gem. § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO an den Verweisungsbeschluss des LG Zweibrücken vom 7.9.2004 gebunden ist.

Allerdings verstößt die von den Prozessparteien nach zulässiger Erhebung der Klage im allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten (§§ 12, 13 ZPO; § 7 BGB) beim LG Zweibrücken verabredete Gerichtsstandsvereinbarung gegen den Grundsatz der perpetuatio fori (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Die gegenteilige Rechtsauffassung der Einzelrichterin beim LG Zweibrücken ist unzutreffend. Objektiv willkürlich - und deshalb ohne Bindungswirkung - ist die Verweisungsentscheidung aber nicht.

Im Einzelnen gilt dazu Folgendes:

a) Für die Entscheidung über das streitgegenständliche Verlangen der Klägerin nach Rückabwicklung des Kaufvertrages mit der Beklagten auf der Grundlage der §§ 437 Nr. 2, 440, 323, 346 ff. BGB war ursprünglich möglicherweise auch das LG Hamburg nach § 29 Abs. 1 ZPO örtlich zuständig, sofern sich in dessen Bezirk der Leistungsort für die Rückabwicklung des Kaufvertrages nach Rücktritt vom Vertrag befand; das ist der "Austauschort", also derjenige Ort, an dem sich die Kaufsache zur Zeit des Rücktritts vertragsgemäß befindet (vgl. insoweit BayObLG v. 9.1.2004 - 1Z AR 140/03, MDR 2004, 646 = BayObLGReport 2004, 181; OLG Saarbrücken v. 6.1.2005 - 5 W 306/04, NJW 2005, 906 [907]; BGH v. 9.3.1983 - VIII ZR 11/82, BGHZ 87, 104 [109 f.] = MDR 1983, 660).

Daneben war in jedem Fall das LG Zweibrücken als Wohnsitzgericht der Beklagten nach §§ 12, 13 ZPO örtlich zuständig.

b) Gemäß § 35 ZPO stand der Klägerin zwischen dem allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten und dem Gerichtsstand des Erfüllungsortes ein Wahlrecht zu. Dieses Wahlrecht hat sie jedoch bereits durch die Erhebung der Klage bei dem LG Zweibrücken unwiderruflich und bindend ausgeübt. Die von den Parteien nachträglich vereinbarte Zuständigkeit des LG Hamburg war gem. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO unbeachtlich. Nach dieser Vorschrift verliert das Prozessgericht seine Zuständigkeit nich...

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