Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen im Rahmen der Vollstreckung eines Titels auf Herausgabe eines Kindes gem. § 33 FGG die Wegnahme des Kindes von Dritten, auch unter Anwendung von Gewalt gegen Dritte und Durchsuchung von deren Wohnung, zulässig ist.

 

Verfahrensgang

AG Zweibrücken (Beschluss vom 06.08.2003; Aktenzeichen 1 F 89/01, 1 F 251/03)

 

Tenor

I. Die angefochtenen Beschlüsse werden teilweise geändert und insgesamt neu gefasst:

1. Auf den Antrag des Vollstreckungsgläubigers vom 9./10.7.2003 wird der zuständige Gerichtsvollzieher ermächtigt, im Rahmen der Vollstreckung der Herausgabeanordnung die Kinder auch jedem Dritten wegzunehmen.

2. Auf den Antrag des Vollstreckungsgläubigers vom 4.8.2003 wird der zuständige Gerichtsvollzieher weiter ermächtigt, im Rahmen der Vollstreckung der Herausgabeanordnung auch Gewalt gegen jeden Dritten anzuwenden.

3. Auf den Antrag des Vollstreckungsgläubigers vom 7.7.2003 wird der zuständige Gerichtsvollzieher weiter ermächtigt, die Wohnung des Bruders der Vollstreckungsgläubigerin … und dessen Lebensgefährtin Frau … in der sich die Kinder derzeit aufhalten, nach den Kindern zu durchsuchen und hierfür erforderlichenfalls die Unterstützung durch die Polizei in Anspruch zu nehmen.

II. Die weiter gehenden Anträge vom 9./10.7.2003 und vom 4.8.2003 werden abgewiesen.

III. Die Beschwerdeverfahren 6 WF 166/03 und 167/03 sind gerichtsgebührenfrei.

Es wird angeordnet, dass die Vollstreckungsschuldnerin die notwendigen Auslagen des Vollstreckungsgläubigers für beide Beschwerdeverfahren zu erstatten hat.

IV. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird für beide Beschwerdeverfahren auf je 3.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

Das zulässige Rechtsmittel des Vaters führt auch in der Sache im Wesentlichen zum Erfolg. Seinen Vollstreckungsanträgen ist in dem aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen Umfang stattzugeben.

I.1. Entgegen der Ansicht des FamG trifft die im Erkenntnisverfahren laut dem zu vollstreckenden Beschluss des Pfälzischen OLG vom 26.6.2002 statuierte Herausgabeverpflichtung nicht nur die dort ausdrücklich als Verpflichtete bezeichnete Mutter, sondern jeden Dritten, welcher die tatsächliche Obhut über die herauszugebenden Kinder im Auftrag und nach Weisung der Mutter ausübt. Der Dritte ist in diesem Falle als nur scheinbar Berechtigter gleichsam Obhutsdiener, auf den bei der Vollstreckung gem. § 33 FGG die bei der Pfändung von Sachen nach den §§ 808, 809 ZPO geltenden Grundsätze entsprechend anwendbar sind. Der Obhutsdiener übt – unabhängig davon, ob in räumlicher Nähe oder weit entfernt – wie der Besitzdiener des § 855 BGB die tatsächliche Gewalt für den Verpflichteten aus, so dass die Obhut (bei Sachen: der Gewahrsam) dem Verpflichteten zuzurechnen ist (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 23. Aufl., § 808 Rz. 8). Ein solches Scheinobhutsverhältnis kann vor Vollstreckungszugriff nicht schützen, insb. wenn der Dritte im Einvernehmen oder gar auf Veranlassung des Verpflichteten die Obhut ausübt, um die herauszugebenden Kinder der Vollstreckung zu entziehen (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 23. Aufl., § 809 Rz. 5).

Entscheidend ist somit allein, dass das faktische Obhutsverhältnis von dem Verpflichteten abgeleitet wird, den Weisungen des Verpflichteten unterliegt und von diesem jederzeit beendet werden kann. Dies ist vorliegend der Fall.

Über die vom Vollstreckungsgläubiger begehrten Maßnahmen ist deshalb nicht in einem gesonderten neuen Erkenntnisverfahren, sondern im Verfahren der Vollstreckung des bereits bestehenden Beschlusses gem. § 33 FGG zu befinden. Andernfalls könnte jede Anordnung zur Herausgabe von Kindern allein dadurch unterlaufen werden, dass die Kinder innerhalb des Familien- und Freundeskreises des Herausgabeverpflichteten von einem zum anderen gereicht werden.

2. Damit erweist sich das Begehren des Vollstreckungsgläubigers als begründet, soweit er die Ermächtigung zur Vollstreckung gegen (unbenannte) Dritte unter Gewaltanwendung begehrt, welche die Kinder auf Weisung der Vollstreckungsschuldnerin in Obhut haben.

3. Da bisher unbestritten vorgetragen ist, dass sich die Kinder derzeit bei dem Bruder der Vollstreckungsschuldnerin und dessen Lebensgefährtin aufhalten, ist als weitere Vollstreckungsmaßnahme die Durchsuchung von deren Wohnung anzuordnen.

Dies rechtfertigt sich schon daraus, dass die Wohnungsinhaber mit der In-Obhutnahme der Kinder einer rechtswidrigen Kindesentziehung durch die Vollstreckungsschuldnerin wissentlich Vorschub leisten. Die Durchsuchung ihrer Wohnung bedeutet für sie keine unverhältnismäßige Härte, da sie sie jederzeit dadurch abwenden können, dass sie die bei Ihnen befindlichen Kinder an den Vollstreckungsgläubiger oder den zuständigen Gerichtsvollzieher oder dessen Hilfsorgane herausgeben.

Auf die vorherige formelle Anhörung der Wohnungsinhaber durch den Senat wird ausnahmsweise zur Sicherung der Rechte des Vollstreckungsgläubigers verzichtet, da dies dazu führen könnte, dass die Kinder wieder an einen anderen Ort gebracht und damit erneut der Vollstre...

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