Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollstreckbarerklärung eines italienischen Mahnbescheids
Leitsatz (amtlich)
Ein italienisches "decreto ingiuntivo" (Mahnbescheid) kann nicht nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen für vollstreckbar erklärt werden, wenn es in einem Ex-parte-Verfahren, also ohne vorheriges rechtliches Gehör der Gegenpartei, bereits anfänglich in sofort vollstreckbarer Form erlassen worden ist.
Normenkette
EuGVO Art. 32, 38
Verfahrensgang
Tenor
I. Unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses wird der Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Mahnbescheids des Tribunale ... vom 3.8.2004 (Az. ..., Reg. Cont. Cronol) abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I. Die Verfahrensbeteiligten sind zwei Unternehmen der Schuhindustrie, von denen die Antragstellerin ihren Sitz in Italien und die Antragsgegnerin ihren Sitz in Deutschland hat.
Wegen unbeglichener Forderungen aus der Lieferung von Schuhen, deren sich die Antragstellerin berühmt, erwirkte diese unter dem 3.8.2004 bei dem Tribunale d./Italien gegen die Antragsgegnerin ein decreto ingiuntivo (Mahnbescheid) über 133.658,09 EUR nebst gesetzlicher Zinsen und Verfahrenskosten (italienischer Titel und deutsche Übersetzung in Fotokopie Bl. 29 bis 32 und Bl. 24 bis 26 d.A.). Dieser Mahnbescheid wurde durch das italienische Gericht gem. Art. 642 Codice di Procedura Civile (c.p.c.) bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses für sofort vollstreckbar ("immediatamente esecutivo") erklärt. Eine vorherige Ladung oder Anhörung der Antragsgegnerin ist in dem italienischen Ausgangsverfahren nicht erfolgt.
Entsprechend dem Begehren der Antragstellerin hat der Vorsitzende der 1. Zivilkammer des für den Sitz der Antragsgegnerin zuständigen LG Zweibrücken mit Beschluss vom 29.6.2005 angeordnet, den vorbezeichneten italienischen Mahnbescheid mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Dagegen richtet sich die am 22.7.2005 eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie im Wesentlichen eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das italienische Gericht rügt.
II. Auf das vorliegende Verfahren betreffend die Vollstreckbarerklärung des gegen die Antragsgegnerin in Italien erlassenen Mahnbescheids finden die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.2000 (EuGVO) Anwendung, welche am 1.3.2002 in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Ausnahme Dänemarks in Kraft getreten ist.
Das Rechtsmittel ist danach gem. Art. 43 EuGVO i.V.m. §§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 11 Abs. 1 AVAG statthaft und auch im Übrigen verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden. Es ist rechtzeitig innerhalb der Frist des § 11 Abs. 3 AVAG beim OLG eingelegt worden und entspricht der von § 11 Abs. 1 S. 1 AVAG bestimmten Form.
Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das decreto ingiuntivo des Tribunale d. vom 3.8.2004 (Az. 228/04 D.I.) ist im Streitfall, weil es absichtlich ohne vorherige Anhörung der Antragsgegnerin in vorläufig (sofort) vollstreckbarer Form erlassen wurde, keine Entscheidung i.S.d. Art. 32, 38 EuGVO, die im Inland für vollstreckbar erklärt werden kann.
Im Einzelnen gilt dazu Folgendes:
1. Zwar ist das "decreto ingiuntivo" i.S.d. Vierten Buches der italienischen ZPO (Artt. 633 bis 656 c.p.c.) unbeschadet des summarischen Charakters des "procedimento d'ingiunzione" dann eine gerichtliche Entscheidung i.S.d. Art. 32 EuGVO, wenn es - wie im Normalfall (Artt. 641, 647 c.p.c.) - erst dann für vollstreckbar erklärt wird, wenn die Widerspruchsfrist von (in der Regel) 40 Tagen abgelaufen sowie innerhalb der Frist entweder kein Widerspruch eingegangen ist oder derjenige, der den Widerspruch erhoben hat, sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat (OLG Köln, Beschl. v. 17.11.2004 - 16 W 31/04, OLGReport Köln 2005, 83 = juris; EuGH v. 13.7.1995 - Rs. C-474/93 - Hengst BV/Comprese, IPrax 1996, 262 [263]; Kruis, IPrax 2001, 56 [57]; Geimer/Schütze, EuZVR A.1 Art. 32 Rz. 30).
2. Indes können nach der gefestigten Rechtsprechung des EuGH (vgl. etwa EuGHE 1980, 1553 "Denilauler" = IPrax 1981, 85 und EuGH v. 13.7.1995 - Rs. C-474/93 - Hengst BV/Comprese, IPrax 1996, 262) sog. Ex-parte-Entscheidungen (ohne Möglichkeit der vorherigen Anhörung für den Beklagten) nicht nach dem in Kap. III der EuGVO vorgesehenen Verfahren anerkannt und vollstreckt werden (Geimer/Schütze, EuZVR A.1., Art. 32 Rz. 35; Rauscher/Leible, EuZPR Art. 32 Brüssel I-VO Rz. 12; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 32 EuGVO Rz. 22; Musielak/Weth, ZPO, 4. Aufl., Art. 32 EuGVO Rz. 5; Gottwald in MünchKomm/ZPO, Aktualisierungsbd., 2. Aufl., Art. 32 EuGVO Rz. 1 und Art. 25 EuGVÜ Rz. 15; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., Art. 3...