Leitsatz (amtlich)

Ein italienisches "decreto ingiuntivo" (Mahnbescheid), das nach Einlegung des Widerspruchs gem. Art. 648 der italienischen ZPO (cpc) für vorläufig vollstreckbar erklärt wird, stellt eine gerichtliche Entscheidung i.S.d. Art. 32 EuGVVO dar, die nach Kap. III der EuGVVO für vollstreckbar erklärt werden kann. (Abgrenzung zu OLG Zweibrücken, Beschl. v. 22.9.2005 - 3 W 175/05).

 

Normenkette

EuGVVO Art. 32, 38

 

Verfahrensgang

LG Zweibrücken (Beschluss vom 28.11.2005; Aktenzeichen 1 O 268/05)

 

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin erwirkte gegen die Antragsgegnerin am 26.10.2004 bei dem Tribunale civile di Lucca (Italien) einen Mahnbescheid (decreto ingiuntivo) über 25.922,91 EUR nebst gesetzlicher Zinsen und bezifferter Verfahrenskosten, der der Antragsgegnerin am 24.11.2004 zugestellt wurde. Gegen den Mahnbescheid hat diese innerhalb der ihr gesetzten Frist von 50 Tagen Widerspruch eingelegt. Am 18.4.2005 wurde der Mahnbescheid von dem Richter für Vorermittlungen am Tribunale di Lucca im Widerspruchsverfahren für vorläufig vollstreckbar erklärt. Die Vollstreckungsklausel wurde am 30.6.2005 erteilt. Einen Antrag der Antragsgegnerin auf Aufhebung der vorläufigen Vollstreckbarkeit hat das Tribunale civile di Lucca am 9.12.2005 als unbegründet zurückgewiesen.

Entsprechend dem Begehren der Antragstellerin hat der Vorsitzende der 1. Zivilkammer des für den Sitz der Antragsgegnerin zuständigen LG Zweibrücken mit Beschluss vom 28.11.2005 angeordnet, den vorbezeichneten italienischen Mahnbescheid - hinsichtlich des Zinssatzes konkretisiert - mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Dagegen richtet sich die am 21.12.2005 eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin. Zur Begründung trägt sie vor, der Mahnbescheid sei nicht als Entscheidung i.S.d. Art. 32, 38 EuGVVO anzusehen, da in Italien das kontradiktorische Verfahren noch nicht abgeschlossen und das rechtliche Gehör noch nicht vollständig gewährt worden sei.

II. Auf das vorliegende Verfahren betreffend die Vollstreckbarerklärung des gegen die Antragsgegnerin in Italien erlassenen Mahnbescheids finden die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.2000 (EuGVVO) Anwendung, welche am 1.3.2002 in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft - mit Ausnahme Dänemarks - in Kraft getreten ist.

Das Rechtsmittel ist danach gem. Art. 43 EuGVVO i.V.m. §§ 1 Abs. 1 Nr. 2b, 11 Abs. 1, 55 AVAG statthaft und auch im Übrigen verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden. Es ist rechtzeitig innerhalb der Frist des Art. 43 Abs. 5 EuGVVO beim OLG eingelegt worden und entspricht der von § 11 Abs. 1 S. 1 AVAG bestimmten Form.

In der Sache führt die Beschwerde nicht zum Erfolg.

Der Vorsitzende der 1. Zivilkammer des LG Zweibrücken hat den Mahnbescheid des Tribunale civile di Lucca vom 26.10.2004 zu Recht für vollstreckbar erklärt.

Die Förmlichkeiten der Art. 53 und 54 EuGVVO sind gewahrt. Insbesondere hat die Antragstellerin die Bescheinigung nach Art. 54 EuGVVO vorgelegt.

Zutreffend ist der Vorsitzende der Zivilkammer davon ausgegangen, dass der in dem italienischen Ausgangsverfahren von dem Richter für Vorermittlungen für vorläufig vollstreckbar erklärte Mahnbescheid eine Entscheidung i.S.d. Art. 32, 38 EuGVVO darstellt.

Nach der Rechtsprechung des EuGH zu der gleich gelagerten Problematik des Art. 25 EuGVÜ kann eine Entschließung dann als "Entscheidung" anerkannt werden, wenn sie von einem Rechtsprechungsorgan erlassen worden ist, das kraft seines Auftrags selbst über zwischen den Parteien bestehende Streitpunkte entscheidet. Weitere Voraussetzung ist, dass einer Anerkennung bzw. Vollstreckbarerklärung im Urteilsstaat nach unterschiedlichen Modalitäten ein kontradiktorisches Verfahren vorausgegangen ist oder hätte vorausgehen können. Hierfür reicht es aus, dass nach Ende eines nicht kontradiktorischen ersten Verfahrensabschnitts die Sache Gegenstand einer kontradiktorischen Erörterung sein konnte, dass also die Wirksamkeit der Entschließung erst dann eintritt, wenn der Schuldner Gelegenheit hatte, seine Rechte geltend zu machen (EuGH, Urt. v. 14.10.2004 - C-39/02, Rz. 43-52; Urt. v. 13.7.1995 - C-474/93, IPrax 1996, 262; OLG Köln, Beschl. v. 17.11.2004 - 16 W 31/04, OLGReport Köln 2005, 83 = juris).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Im Gegensatz zu dem der Entscheidung des Senats vom 22.9.2005 (OLG Zweibrücken v. 22.9.2005 - 3 W 175/05) zugrunde liegenden Fall, in dem der Mahnbescheid ohne vorherige Anhörung der dortigen Antragsgegnerin sofort in vorläufig vollstreckbarer Form erlassen wurde (Art. 642 c.p.c.), erfolgte im Streitfall die Gewährung der vorläufigen Vollstreckung des Mahnbescheids, nachdem die Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt und ihre Einwendungen vorgebracht hatte (Art. 648 c.p.c.). Der Abschluss des Klage...

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