Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadenersatz wegen begangener unerlaubter Handlung (Amoklauf)

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Haftung eines "Amokläufers" für den psychischen Gesundheitsschaden, der bei einem der ihn am Tatort festnehmenden Polizeivollzugsbeamten aufgrund dieses Erlebnisses eingetreten ist.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Frankenthal (Pfalz) (Urteil vom 27.06.2016; Aktenzeichen 5 O 2/14)

BGH (Aktenzeichen VI ZR 237/17)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 17.04.2018; Aktenzeichen VI ZR 237/17)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des LG Frankenthal (Pfalz) vom 27.6.2016 in den Nrn. 1. und 2. der Urteilsformel teilweise geändert und insoweit wie folgt neu gefasst:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 384 247,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem gesetzlich festgelegten Basiszinssatz jährlich seit 23.10.2013 zu bezahlen.

2. Die weiter gehende Zahlungsklage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten des Berufungsverfahrens durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Das klagende Land nimmt den Beklagten aus auf den Versorgungsträger übergegangenem Recht (§ 72 LBG Rheinland-Pfalz) wegen vorsätzlich begangener unerlaubter Handlungen zum Nachteil verschiedener Landesbediensteter auf Ersatz für Gesundheitsschäden in Anspruch.

Hintergrund des Rechtsstreits ist ein "Amoklauf" des Beklagten am 18.2.2010 in der Berufsbildenden Schule... Der Beklagte, ein ehemaliger Schüler, begab sich an diesem Tag während der Unterrichtszeit in das Gebäude. Er war mit einem Messer und einer geladenen Schreckschusspistole bewaffnet und führte mehrere bengalische Feuer mit sich. Er wollte seinen früheren Lehrer R. B. und den Schulleiter W. L. töten. Mittels der Feuerwerkskörper wollte er Feueralarm und damit Chaos auslösen, um sodann weitere Lehrer und Schüler töten zu können. Der Beklagte leidet am sog. Klinefelter-Syndrom, einer numerischen Chromosomenaberration der Geschlechtschromosomen. Aufgrund dessen hat der Beklagte eine kombinierte Persönlichkeitsstörung entwickelt mit schizoiden, paranoiden und selbstunsicheren Anteilen.

Nach Betreten des Schulgebäudes traf der Beklagte auf den Lehrer R. B. und tötete diesen durch fünf Messerstiche. Im Anschluss daran löste er Feueralarm aus, woraufhin die unterrichtenden Lehrer sich daran machten, mit ihren Schulklassen das Gebäude zu verlassen. Hierbei trafen drei Lehrer (B., L. und S.) im Treppenhaus auf den Beklagten, der sie mit der mitgeführten Schreckschusspistole bedrohte. Er schlug den Lehrer S., der versucht hatte, ihm die Waffe wegzunehmen, zu Boden. Die übrigen genannten Lehrer mussten sich auf Geheiß des Beklagten auf den Fußboden legen. Anschließend gab der Beklagte mehrere Schüsse aus seiner Schreckschusspistole ab. Einen weiteren Schuss mit der Schreckschusspistole gab der Beklagte ab, als er auf den Lehrer L. traf, der ihn zum Aufgeben bewegen wollte. Schließlich gelang es dem Lehrer T. die Polizei zu verständigen.

Zu den daraufhin zum Tatort beorderten Polizeibeamten gehörte der Polizeibeamte B. K., der mit drei weiteren Kollegen das Schulgebäude betrat und es gezielt nach dem mutmaßlichen Amokläufer durchsuchte. Nachdem die Polizisten den Beklagten zwischen dem 2. und dem 3. Obergeschoss gestellt hatten, forderten sie ihn unter Vorhalt ihrer Dienstwaffen zur Aufgabe auf. Der Beklagte warf daraufhin seine Schreckschusspistole und eine Umhängetasche weg und ließ sich widerstandslos festnehmen.

Der Beklagte wurde wegen des vorbeschriebenen Geschehens durch Urteil des LG Frankenthal (Pfalz) vom 20.10.2010 (Az. 5120 Js 6452/10/Kls) u.a. wegen heimtückisch begangenen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Außerdem wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, wo er sich seitdem befindet.

Das klagende Land hat als Versorgungsträger der nach dem Amoklauf an ihrer Gesundheit geschädigten Landesbediensteten von dem Beklagten erstinstanzlich zuletzt Schadensersatz in Höhe von 387 298,21 EUR nebst Zinsen begehrt sowie die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für Zukunftsschäden und dass dieser aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung hafte. Zur Begründung hat es sich darauf berufen, dass mehrere Lehrer, welche den Amoklauf miterleben mussten und auch der Polizeibeamte K. psychische Beeinträchtigungen (Traumatisierungen) erlitten hätten.

Durch das angefochtene Urteil, auf dessen Inhalt zur Ergänzung der Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat die Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des LG Frankenthal (Pfalz) den Beklagten antragsgemäß verurteilt und die Klage nur wegen eines Teils des Zins...

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