Leitsatz (amtlich)
Zur Ersatzpflicht der von Eltern eines in seiner Gesundheit geschädigten Kindes für dieses erbrachten Betreuungs- und Pflegeleistungen und zur schadensrechtlichen Bewertung von sog. Bereitschaftszeiten.
Normenkette
BGB §§ 823, 843 Abs. 1 und 4
Verfahrensgang
LG Landau (Pfalz) (Urteil vom 22.10.2002; Aktenzeichen 2 O 384/01) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Landau in der Pfalz vom 22.10.2002 abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.360,67 Euro nebst 5 % Zinsen hieraus seit dem 11.2.2001 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 55 % und der Beklagte 45 % zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn und soweit nicht zuvor die andere Partei Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die am 4.12.1984 geborene Klägerin erlitt bei ihrer Geburt in dem in der Trägerschaft des Beklagten stehenden Kreiskrankenhaus … infolge eines ärztlichen Behandlungsfehlers durch eine Sauerstoffunterversorgung eine schwere Hirnschädigung (Cerebralparese). Aufgrund insoweit rechtskräftigen Teil- und Grundurteils des LG Landau in der Pfalz vom 1.8.1991 (2 O 498/87) steht fest, dass der Beklagte der Klägerin zum Ersatz allen sich hieraus ergebenden Schadens verpflichtet ist. Im Weiteren schlossen die Parteien in diesem Verfahren einen Vergleich, in dem der Beklagte sich verpflichtete, zur Anrechnung auf den künftigen, materiellen Schaden der Klägerin ab 1.1.1998 monatlich einen Vorschuss i.H.v. 1.500 DM zu zahlen. Außerdem erzielten die Parteien Einigkeit darüber, dass jeweils eine jährliche Abrechnung des letztlich geschuldeten Schadenersatzbetrages zu erfolgen hat.
Die Klägerin, die im Hause ihrer Eltern lebt, ist vollständig hilfsbedürftig und bedarf einer umfassenden Betreuung. Pflege und Betreuung werden überwiegend von ihren Eltern, in geringem Umfang auch von Berufspflegekräften erbracht. Zwischen den Parteien ist außer Streit, dass hierbei auch so genannte „Bereitschaftszeiten” anfallen. In diesen Zeiten sind pflegerische Leistungen der Eltern der Klägerin nicht unbedingt erforderlich, sie müssen aber auf Abruf bereitstehen. Diese Zeiten betragen an Schultagen 2 Stunden täglich, an den Wochenenden 8 Stunden täglich.
Die Parteien streiten vorliegend über den Umfang des erforderlichen und von den Eltern der Klägerin erbrachten Pflege- und Betreuungsaufwandes im Jahr 1999 sowie über den Umfang der Verpflichtung des Beklagten zur Erstattung von Kosten der Anschaffung eines neuen, behindertengerechten Fahrzeugs. Der Beklagte hat für diesen Zeitraum die Pflegeleistungen dritter Personen ausgeglichen und für die Leistungen der Eltern der Klägerin insgesamt 50.660 DM bezahlt. Für die Anschaffung des Fahrzeugs (Gesamtaufwand 59.147,20 DM) zahlte er 40.000 DM.
Die Klägerin ist der Auffassung, durch diese Zahlungen werde der Mehraufwand für ihre Pflege nicht vollständig ausgeglichen. Sie meint, die „Bereitschaftsdienstzeiten” seien in vollem Umfang bei der Ermittlung des Pflegeaufwandes zu berücksichtigen.
Sie hat deshalb geltend gemacht, während ihrer gesamten, täglichen Wachzeit von 6.00 Uhr bis 21.00 Uhr falle ein vom Beklagten zu ersetzender Pflege- und Betreuungsaufwand an. Von diesen 15 Stunden sei lediglich die durchschnittliche Zeit ihres Schulbesuchs von (190 Tage × 9 Stunden ./. 365 =) 4,5 Stunden abzuziehen. Hinzu komme wiederum eine Stunde für Leistungen ihrer Eltern in ihrer Abwesenheit. Daher seien täglich 11,5 Stunden zu berücksichtigen. Da 1999 an drei Tagen eine Berufspflegekraft die Leistungen übernommen hat, ergebe sich ein Gesamtzeitaufwand von 362 × 11,5 Stunden = 4.163 Stunden. Abzüglich weiterer Pflegeleistungen von dritter Seite im – unstreitigen – Umfang von 527,50 Stunden habe der Beklagte daher einen Aufwand von 3.635,50 Stunden zu je 20 DM = 72.710 DM zu ersetzen. Im Weiteren sei es angemessen, dass der Beklagte 75 % der Anschaffungskosten des Fahrzeugs, mithin 44.360,40 DM übernehme.
Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 13.844,71 Euro nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 11.2.2001 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, es seien lediglich 2.533 Stunden an Pflegeleistungen auszugleichen, weil die Bereitschaftsdienstzeiten nur zu 1/4 berücksichtigt werden könnten. Angemessen sei außerdem ein Ersatz von lediglich 2/3 der Anschaffungskosten des Pkw.
Das LG hat Beweis erhoben zum Umfang des erforderlichen Pflege- und Betreuungsaufwandes für die Klägerin durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Leiters der Sektion Sozialpädiatrisches Zentrum und Kinderneurologie der...