Entscheidungsstichwort (Thema)
Arzthaftung: Höhe des Schadensersatzes für Pflege- und Betreuungsaufwand nach Geburtsschaden
Leitsatz (amtlich)
Zur Bemessung des Schadensersatzes wegen eines vermehrten Bedürfnisses für Pflege und Betreuung eines durch einen ärztlichen Behandlungsfehler bei der Geburt schwer geschädigten Kindes durch Eltern im Rahmen häuslicher Gemeinschaft und durch fremde Hilfskräfte, insb. zur Bewertung sog. "Bereitschaftszeiten" der Eltern.
Normenkette
BGB § 843 Abs. 1, 4, § 1836 Abs. 1-2; ZPO § 287
Verfahrensgang
LG Landau (Pfalz) (Urteil vom 15.09.2006; Aktenzeichen 4 O 499/04) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des LG Landau in der Pfalz vom 15.9.2006 abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin über den erstinstanzlich ausgeurteilten Betrag hinaus weitere 12.283,77 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 17.7.2005 zu zahlen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten beider Rechtszüge werden gegeneinander aufgehoben.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision gegen das Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die am ...1984 geborene Klägerin erlitt bei ihrer Geburt in dem in der Trägerschaft des Beklagten stehenden Kreiskrankenhaus ... infolge eines ärztlichen Behandlungsfehlers durch eine Sauerstoffunterversorgung eine schwere Hirnschädigung (Cerebralparese). Aufgrund insoweit rechtskräftigen Teil- und Grundurteils des LG Landau in der Pfalz vom 1.8.1991 (2 O 498/87) steht fest, dass der Beklagte der Klägerin zum Ersatz allen sich hieraus ergebenden Schadens verpflichtet ist. Im Weiteren schlossen die Parteien in diesem Verfahren einen Vergleich, in dem der Beklagte sich verpflichtete, zur Anrechnung auf den künftigen, materiellen Schaden der Klägerin ab 1.1.1998 monatlich einen Vorschuss i.H.v. 1.500 DM zu zahlen. Außerdem erzielten die Parteien Einigkeit darüber, dass jeweils eine jährliche Abrechnung des letztlich geschuldeten Schadenersatzbetrages zu erfolgen hat.
Die Klägerin, die im Hause ihrer Eltern lebt, ist vollständig hilfsbedürftig und bedarf einer umfassenden Betreuung. Pflege und Betreuung werden überwiegend von ihren Eltern, in gewissem Umfang aber auch von Berufspflegekräften erbracht. Zwischen den Parteien ist außer Streit, dass hierbei auch so genannte "Bereitschaftszeiten" anfallen. In diesen Zeiten sind pflegerische Leistungen der Eltern der Klägerin nicht unbedingt erforderlich, sie müssen aber auf Abruf bereitstehen. Diese Zeiten betragen an Schultagen 2 Stunden täglich, an den Wochenenden 8 Stunden täglich.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung verschiedener Aufwendungen bzw. der Vergütung von Pflegeaufwand in den Jahren 2000, 2003 und 2004. Das LG hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens des Leiters der Sektion Sozialpädiatrisches Zentrum und Kinderneurologie der Universitätsklinik ..., Prof. Dr. B., von den - zum Teil im Wege der Teilklage - eingeklagten rund 27.000 EUR unter Klageabweisung im Übrigen einen Betrag i.H.v. 1.557,72 EUR nebst Zinsen zugesprochen.
Wegen der weiteren Einzelheiten und der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils verwiesen.
Gegen das Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrages aus erster Instanz die Zahlung weiterer 25.372,92 EUR nebst Zinsen begehrt. Dagegen verteidigt der Beklagte das angegriffene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II. Die zulässige Berufung führt zu einem Teilerfolg.
I. Der Senat hat bereits mit Urteil vom 2.9.2003 in dem Verfahren 5 U 31/02 = 20 384/01 LG Landau in der Pfalz, in dem die Parteien über andere Abrechnungszeiträume gestritten haben, seine Rechtsauffassung zur Erstattungsfähigkeit des Pflegeaufwandes der Eltern der Klägerin, auch soweit die sog. Bereitschaftsdienstzeiten betroffen sind, seine Rechtsauffassung dargestellt. Diese liegt im Ausgangspunkt auch dem angegriffenen Urteil in vorliegendem Verfahren zugrunde. Anlass, hiervon abzuweichen, sieht der Senat nicht. Zusammengefasst gilt demnach Folgendes:
1. Der Beklagte ist aufgrund des rechtskräftigen Grundurteils verpflichtet, den durch die Behinderung der Klägerin verursachten Mehrbedarf durch eine Geldrente auszugleichen (§ 843 Abs. 1 BGB). Hierunter fällt auch der Betreuungsaufwand naher Angehöriger eines durch eine unerlaubte Handlung an Körper und Gesundheit Geschädigten. Kommen mehrere Arten der Betreuung in Betracht, bestimmt sich die Höhe des Anspruchs dabei weder nach der kostengünstigsten noch nach der aufwendigsten Möglichkeit, sondern allein danach, wie der Bedarf in der vom Geschädigten und seinen Angehörigen gewählten Lebensgestaltung tatsächlich anfällt (BGH, NJW 1999, 2819; BGH, VersR 1978, 149). Dieser Bedarf bestimmt sich deshalb - das ist zwischen den Parteien ...