Leitsatz (amtlich)

1. Kommt es auch im Grundsatz bei der Beurteilung der zu beachtenden ärztlichen Sorgfalt auf den Zeitpunkt der Behandlungsmaßnahme an, bestimmt sich deren Fehlerhaftigkeit doch nach objektiver, auch nachträglicher Erkenntnis.

2. Das Verabreichen wehenfördernder Mittel statt Maßnahmen einer intrauterinen Reanimation sowie Durchführung einer Notsectio bei anhaltender Dezelaration erweist sich jedenfalls dann als nicht behandlungsfehlerhaft, wenn es tatsächlich innerhalb kurzer Zeit zu einer Spontangeburt des Kindes kommt.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1, §§ 831, 847

 

Verfahrensgang

LG Landau (Pfalz) (Aktenzeichen 2 O 841/94)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Landau in der Pfalz vom 23.8.2001 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund dieses Urteils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor die Beklagten Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin hat die Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadenersatz sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für alle zukünftig entstehenden Schäden aus Behandlungsfehlern bei ihrer Geburt in Anspruch genommen. Dem liegt – zusammengefasst – folgender Sachverhalt zugrunde:

Am 24.11.1991 gegen 14.00 Uhr wurde die damals 28 Jahre alte, erstgebärende Mutter der Klägerin (Patientin) in der 40. Woche einer bis dahin komplikationslos verlaufenen Schwangerschaft in der Abteilung für Geburtshilfe des von der Beklagten zu 4) betriebenen Kreiskrankenhauses K. aufgenommen. Der Beklagte zu 3) war der Chefarzt dieser Abteilung.

Bei der Aufnahmeuntersuchung um 14.30 Uhr war der Muttermund für einen Finger durchgängig. Die cardiographische Registrierung (CTG) zwischen 16.07 und 17.01 Uhr ergab während der gesamten Ableitung eine durchschnittliche fetale Herzfrequenz von 150 Schlägen je Minute.

Kurz nach 17.00 Uhr wurde die Patientin durch die in dem Krankenhaus als Hebamme angestellte Beklagte zu 5) in den Kreißsaal verlegt. Eine dort vom Beklagten zu 1) durchgeführte Untersuchung ergab eine Erweiterung des Muttermundes auf 3 cm. Die nächste CTG-Ableitung erfolgte um 18.44 Uhr und zeigte in den ersten fünf Minuten eine mittlere Herzfrequenz von 135 Schlägen/min bei guter Oszillation. Gegen 18.50 Uhr begann eine Verlangsamung der Herztöne (Dezeleration) auf zunächst 80 Schläge/min, ab 18.55 Uhr wurden nur noch 60 Schläge/min gemessen. Um 19.00 Uhr führte der Beklagte zu 1) einen künstlichen Blasensprung herbei. Zu diesem Zeitpunkt war der Muttermund auf 7 bis 8 cm eröffnet. Ab 19.04 Uhr beschleunigten sich die Herztöne wieder auf zunächst 80 Schläge/min und im weiteren Verlauf auf 130 Schläge/min. Um 19.10 Uhr verabreichte der Beklagte zu 1) der Patientin ein wehenförderndes Medikament (Syntocinon). Um 19.15 Uhr wurde die Klägerin nach drei Presswehen spontan geboren. Sie hatte eine Herzfrequenz von über 100 Schlägen/min, war jedoch ohne Atmung und Reflexe, weshalb sie zunächst von dem Beklagten zu 1), später von der in dem Krankenhaus als Anästhesistin angestellten Beklagten zu 2) künstlich beatmet wurde.

Die Klägerin hat u.a. behauptet, die ärztliche Geburtshilfe durch den Beklagten zu 1) sei fehlerhaft gewesen. Dieser habe um 18.51 die Dauerdezeleration feststellen können. Danach habe er eine intrauterine Reanimation durch Verabreichung wehenhemmender Mittel, Seitenlagerung und Beatmung der Patientin sowie durch Hochschieben des vorangehenden Teils durchführen und eine Notsectio vorbereiten müssen. Außerdem habe er die Beklagte zu 2) und den später herbeigerufenen Kinderarzt früher hinzuziehen müssen. Die Beklagte zu 5) habe es schuldhaft unterlassen, die CTG-Aufzeichnung im Kreißsaal nach 17.00 Uhr fortzuschreiben und Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet waren, eine ausreichende Sauerstoffversorgung der Klägerin zu bewirken.

Infolge dieser Versäumnisse leide sie an Epilepsie, zerebralen Krampfanfällen und nicht ausschließbaren Hirnschäden mit Wachstums- und Entwicklungsstörungen. Dies rechtfertige eine Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 100.000 DM.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen ab Klagezustellung zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr jeglichen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Geburtsvorgang am 24.11.1991 zu ersetzen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie haben behauptet, die Entscheidung für eine vaginale Geburt sei fehlerfrei gewesen; eine etwaige Sauerstoffunterversorgung der Klägerin beruhe auf einer vorzeitigen Plazentaablösung.

Das LG hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Leiters der Abteilung für Geburtshilfe des Klinikums der J.-W.-G.-Univer...

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