Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweislast für fehlerhafte Verabreichung eines Klysmas

 

Leitsatz (amtlich)

Die Verabreichung eines Klysmas (Klistiers, Darmeinlaufs) unterliegt grundsätzlich dem Bereich des voll beherrschbaren Behandlungsgeschehens. Bei einer dabei erfolgten Verletzung der Darmwand ist deshalb nicht der Patient gehalten, einen Behandlungsfehler nachweisen. Wegen Umkehr der Beweislast obliegt es vielmehr der Behandlungsseite, sich zu entlasten. Anderes gilt dann, wenn der Patient infolge einer Prädisposition einen Risikofaktor in das Behandlungsgeschehen einbringt, der den Gefahrenbereich für den Arzt oder das Pflegepersonal nicht mehr uneingeschränkt beherrschbar macht.

 

Normenkette

BGB § 253 Abs. 2, §§ 278, 280 Abs. 1 S. 1, § 280 S. 2, § 823 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Kaiserslautern (Urteil vom 07.06.2006; Aktenzeichen 4 O 953/04)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Grundurteil der 4. Zivilkammer des LG Kaiserslautern vom 7.6.2006 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Eine Vollstreckung des Klägers wegen der Kosten des Berufungsverfahrens können die Beklagten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe geleistet wird.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der heute 77 Jahre alte Kläger beansprucht von den Beklagten Schmerzensgeld wegen einer Darmverletzung bei einer Einlaufbehandlung.

Der Beklagte zu 2), Krankenpfleger in dem von der Beklagten zu 1) betriebenen Klinikum ..., verabreichte dem Kläger am 28.8.2003, 2 Tage nach einer Bypassoperation, einen Darmeinlauf (Klysma). Eine Aufklärung über besondere Risiken der Behandlung erfolgte nicht.

Wegen plötzlich auftretender Bauchschmerzen und danach festgestellten Kontrastmittelaustritts aus dem Enddarm wurde der Kläger notfallmäßig laparotomiert. Wegen einer Rektumperforation erfolgte eine Hartmann-Stumpf-Operation mit Anlage eines Sigmastomas (künstlicher Darmausgang).

Nach Entlassung aus der stationären Krankenhausbehandlung am 10.9.2003 nahm der Kläger an einer Rehabilitationsmaßnahme (15.9. bis 17.10.2003) teil. Am 2.2.2004 erfolgte die operative Rückverlegung des künstlichen Darmausganges.

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte zu 2) habe bei Einführung des Klysmas den Darm behandlungsfehlerhaft dreifach durchstoßen. Er habe über die Risiken der Einlaufbehandlung aufgeklärt werden müssen und diese dann abgelehnt. Die Verabreichung des Klysmas sei nicht indiziert gewesen. Er leide bis heute unter Stuhlinkontinenz und sei depressiv. Er erachte ein Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 60.000,00 EUR für angemessen.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz hieraus seit dem 29.11.2003 zu zahlen.

Die Beklagten sind dem entgegengetreten.

Sie haben einen Behandlungsfehler des Beklagten zu 2) bestritten. Eine Aufklärung über Risiken sei nicht erforderlich gewesen.

Die Zivilkammer hat den Kläger (in teilweise anderer Besetzung) angehört sowie Zeugen- und Sachverständigenbeweis erhoben. In dem angefochtenen Urteil hat sie den Klageanspruch als dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Die Verursachung einer Darmperforation durch ein Klysma bei einem darmgesunden Menschen könne nach dem Ergebnis der eingeholten Sachverständigengutachten nur auf einer fehlerhaften Anwendung beruhen. Andere Ursachen, die nicht auf eine behandlungsfehlerhafte Anwendung durch den Beklagten zu 2) schließen lassen müssten, seien hier nicht gegeben.

Zur Begründung ihrer Berufung gegen dieses Urteil tragen die Beklagten nun vor:

Das Urteil des LG beruhe auf einem Zirkelschluss, da ein Behandlungsfehler angenommen worden sei, weil eine instrumentelle Darmperforation sich als ein solcher darstelle. Es sei jedoch unzulässig, vom Eintritt einer Komplikation auf das Vorliegen eines Behandlungsfehlers zu schließen.

Entgegen der Auffassung des Grundurteils hätten die Beklagten nicht zugestanden, dass mit dem Klistier das gesunde Rektum des Klägers durchstoßen worden sei. Die Klageerwiderung sei dazu lediglich unglücklich formuliert. Aus dem gesamten weiteren Vorbringen sei zu schließen, dass ein Durchstoßen eines gesunden Darms von den Beklagten nicht zugestanden werde.

Nach dem für das LG erstatteten Sachverständigengutachten erfordere das Durchstoßen der Darmwand mit einem Klistier eine erhebliche Kraftanstrengung des Anwenders und führe zu erheblichen Schmerzreaktionen. Beides habe das LG nicht festgestellt.

Die Kammer habe unter Verletzung des Gebotes des fairen Verfahrens lediglich den Kläger, nicht aber den Beklagten zu 2) persönlich angehört.

Das Gutachten des Sachverständigenprofessor Dr. Wa. sei letztlich auch deshalb nicht brauchbar, weil dem Sachverständigen die Krankenunterlagen für den Kläger nicht vorgelegen hätten. Daraus hätte sich auch ergeben, dass de...

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