Entscheidungsstichwort (Thema)
Arzthaftung: zeitnahe Auswertung einer Blutprobe/Beweislast
Leitsatz (amtlich)
1. Zur im Einzelfall gebotenen zeitnahen Auswertung einer Blutprobe zwecks Wiedereinbestellung des Patienten (hier: CRP-Bestimmung bei Morbus Crohn).
2. Zur Umkehr der Beweislast für die Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden bei einem Verstoß gegen diese Befunderhebungspflicht.
Normenkette
BGB § 253 Abs. 1, § 823 Abs. 1, § 831; BGB a.F. § 847
Verfahrensgang
LG Frankenthal (Pfalz) (Urteil vom 25.01.2006; Aktenzeichen 4 O 261/04) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Frankenthal (Pfalz) vom 25.1.2006 teilweise geändert:
1. Die Beklagten zu 1 und 3 werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 13.913,90 EUR nebst 5 % Punkte Zinsen über den Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (19.6.2004) zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1 und 3 als Gesamtschuldner dem Kläger allen weiteren aus der unterlassenen Behandlung vom 7.6. bis 10.6.2001 im ...-Krankenhaus ... entstehenden Zukunftsschaden zu ersetzen haben, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
3. Die weitergehende Klage (gegen den Beklagten zu 2) wird abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
III. Die Gerichtskosten beider Instanzen haben der Kläger zu 1/3 und die Beklagten zu 1 und 3 als Gesamtschuldner zu 2/3 zu tragen.
Die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits fallen zur Last:
- diejenigen des Klägers: den Beklagten zu 1 und 3 zu 2/3;
- diejenigen des Beklagten zu 2: dem Kläger insgesamt;
- im Übrigen trägt jede Partei ihre außergerichtlichen Auslagen selbst.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien können eine Vollstreckung der Gegenseite jeweils durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe geleistet wird.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Bei dem am ... 1988 geborenen Kläger wurde Anfang des Jahres 2001 Morbus Crohn diagnostiziert. Seither befand er sich mehrfach in ambulanter und stationärer Behandlung im ...-Krankenhaus in ..., dessen Trägerin die Beklagte zu 3 ist. Der Beklagte zu 1 ist dort selbstliquidierender Chefarzt und Facharzt für Kinderheilkunde, der Beklagte zu 2 war damals Assistenzarzt und Dienst habender Arzt in der Nacht vom 10. auf den 11.6.2001.
Seit seiner stationären Behandlung vom 9. bis 15.5.2001 wurde der Kläger auf Verordnung des Beklagten zu 1 mit einer erhöhten Kortisondosis behandelt. Auch danach hatte er in Abständen von ca. acht Tagen immer wieder Beschwerden, worüber er den Beklagten zu 1 unterrichtete. Am 5.6.2001 wurde vom Hausarzt eine Sonografie des Abdomens durchgeführt. Am 7.6.2001 erfolgte im Rahmen einer ambulanten Untersuchung durch den Beklagten zu 1 eine Blutentnahme beim Kläger. Die Ergebnisse der Laboruntersuchung lagen am 11.6.2001 vor.
In der Nacht zum 11.6.2001 meldete sich die Mutter des Klägers im Krankenhaus der Beklagten zu 3 fernmündlich wegen starker Schmerzen und Erbrechens des Klägers. Der Inhalt des mit dem Beklagten zu 2 geführten Telefongesprächs ist im Wesentlichen streitig.
Im Laufe des 11.6.2001 wurde der Kläger in der Kinderklinik H. notfallmäßig operiert, wobei multiple freie Durchbrüche der Darmwand und eine generalisierte eitrige 4-Quadranten-Peritonitis des Bauchraums festgestellt wurden. Dem Kläger wurde ein künstlicher Darmausgang gelegt. Im Rahmen der operativen Rückverlegung des künstlichen Ausgangs im Oktober 2001 musste die Ileozökalklappe (= Bauhin-Klappe; Übergang Dünndarm-Dickdarm) entfernt werden. Es ist nicht auszuschließen, dass ein weiterer operativer Eingriff erforderlich wird.
Der Kläger beansprucht ein angemessenes Schmerzensgeld, Ersatz materiellen Schadens (von der Krankenkasse nicht erstattete Behandlungskosten der Kinderklinik H.) sowie Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden.
Er hat dazu vorgetragen, seine Behandlung sei fehlerhaft gewesen. Seit seinem Krankenhausaufenthalt im Mai 2001 sei ihm das Kortisonpräparat Urbason zu lange und zu hoch dosiert verabreicht worden. Die Blutwerte seien am 7.6.2001 behandlungsfehlerhaft nicht sofort kontrolliert worden. Seine Angaben über starke Schmerzen und Brennen im Bauch sowie Fieber bis 39 Grad am Vorabend hätten zu weiteren Untersuchungen Veranlassung geben müssen. Im Telefongespräch am 11.6.2001 habe der Beklagte zu 2 erklärt, da er den Fall nicht kenne, müsse der Kläger bei einer stationären Aufnahme noch in der Nacht ohnehin warten, bis der Beklagte zu 1 am nächsten Morgen komme.
Die Beklagten sind den Klageanträgen entgegengetreten und haben sich darauf berufen, den Kläger fehlerfrei behandelt zu haben. Auch bei Kenntnis und Beurteilung der Blutwerte am Abend des 7.6.2001 hätte sich kein anderer Krankheitsverlauf beim Kläger ergeben. Der Beklagte zu 2 habe der Mutter des Klägers erklärt, sie könne den Kläger in die Klinik bri...