Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachbarklage. Wohnungseigentümer. Abstandflächen. Befreiung. Tatsächliche Beeinträchtigung. Geringfügiges Überschreiten der Abstandfläche
Leitsatz (amtlich)
Zur Nachbarklage eines Wohnungseigentümers und zur Frage der tatsächlichen Beeinträchtigung bei Verletzung der Abstandflächenvorschriften ohne Überdeckung.
Normenkette
BauO Bln §§ 6, 61 Abs. 2; WEG § 1
Tenor
Die Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen gegen das am 18. März 1991 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. November 1990 werden zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufungen werden dem Beklagten und den Beigeladenen je zur Hälfte auferlegt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger und ihr Nachbar … sind Wohnungs- und Teileigentümer des mit einem Doppelhaus bebauten Grundstücks … in Berlin-Heiligensee. Die Beigeladenen sind Wohnungseigentümer der hinteren Hälfte des nordwestlich an das Grundstück der Kläger grenzenden Grundstücks …. Beide Grundstücke liegen nach den Festsetzungen des Baunutzungsplans für Berlin im allgemeinen Wohngebiet der Baustufe 11/2. Förmlich festgesetzte Bau- und Straßenfluchtlinien bestehen nicht.
Nach der Baugenehmigung vom 20. November 1987 durfte das Kellergeschoß des Einfamilienhauses der Beigeladenen mit der Deckenoberkante 0,38 m über die festgestellte Geländeoberfläche von 33,10 m hinausragen. Wegen des Grundwasserspiegels von N.N. + 31,3 m stimmte der Beklagte am 10. Februar 1988 der Anhebung des Gebäudes um 1,30 m über die Geländeoberfläche bei gleichzeitiger Verlegung des Baukörpers um 0,30 m nach Nordwesten zu; die Abstandfläche zum Grundstück der Kläger wurde mit 3,30 m eingehalten. Nachdem der Beklagte auf Hinweis der Kläger festgestellt hatte, daß das Gebäude der Beigeladenen mit der Oberkante des Erdgeschoßrohfußbodens von 34,74 m über N.N. errichtet worden war und damit um 1,77 m über die Geländeoberfläche hinausragte, erließ er am 15. Juni 1988 eine Baueinstellungsverfügung. Mit Schreiben vom 4. Juli 1988 teilte der Baustadtrat des Beklagten den Klägern mit, daß das Wohnhaus der Beigeladenen nicht nur abweichend von der erteilten Baugenehmigung, sondern auch unter Verstoß gegen baurechtliche Bestimmungen erstellt worden sei; der vorhandene Abstand von 3.30 m zu ihrer hinteren Grundstücksgrenze hätte für das Vorhaben, wäre es der Genehmigung entsprechend errichtet worden, ausgereicht; da jedoch die Höhenmaße überschritten worden seien, werde auch ein größerer Abstand zu den seitlichen Grundstücksgrenzen erforderlich, hier eine Tiefe von 3,51 m; das habe zur Folge, daß ein Teil der Abstandfläche in einer Tiefe von 21 cm auf dem Grundstück der Kläger liege.
Nach Anhörung der Kläger teilte der Beklagte ihnen mit Bescheid vom 17. November 1988 mit, daß er den Beigeladenen eine Befreiung und eine entsprechend geänderte Baugenehmigung erteilen werde. Unter Befreiung für das übergreifen der erforderlichen Abstandfläche auf das Nachbargrundstück genehmigte der Beklagte mit Bescheid vom 20. Januar 1989 die veränderte Ausführung der Sockelhöhe und des Daches. Den Widerspruch der Kläger wies die Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen mit Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 1989 zurück.
Mit dem am 18. März 1991 zugestellten Urteil vom 16. November 1990 hat das Verwaltungsgericht Berlin den Bescheid vom 17. November 1988 und den Befreiungsbescheid vom 20. Januar 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 1989 aufgehoben und zur Begründung ausgeführt, das in Abweichung von der Baugenehmigung vom 20. November 1987 in der Fassung der Änderungsgenehmigung vom 10. Februar 1988 errichtete Wohnhaus der Beigeladenen verstoße gegen die nachbarschützende Abstandflächenvorschrift. Die Abstandfläche liege mit einem rechtwinkligen Dreieck von 0,128 qm auf dem Grundstück der Kläger. Befreiungsvoraussetzungen lägen nicht vor. Der hohe Grundwasserspiegel präge die Situation des Grundstücks der Beigeladenen und erschwere seine Bebaubarkeit. Dem habe der Beklagte durch die Nachtragsbaugenehmigung vom 10. Februar 1988 Rechnung getragen und sichergestellt, daß die Beigeladenen das Gebäude wie geplant hätten errichten können. Eine weitere Anhebung des Gebäudes um zusätzliche 47 cm sei keineswegs erforderlich gewesen. Solche rein willkürliche Abweichung von erteilten Baugenehmigungen dürfe die Bauaufsichtsbehörde nicht zu Lasten der Nachbarn durch die nachträgliche Erteilung von Befreiungen sanktionieren.
Gegen dieses Urteil richten sich die Berufungen der Beigeladenen und des Beklagten. Sie sind der Auffassung, die erteilte Befreiung sei rechtmäßig, da eine atypische Grundstückssituation bestehe, weil die westliche Grenze des Baugrundstücks abknicke. Es liege eine offensichtlich nicht beabsichtigte Härte vor. Die Abstandflächen würden nur sehr geringfügig überschritten und überdeckten sich nicht; das Begehren der Kläger sei wegen dieser Bagatellüberschreitung rechtsmißbräuchlich. Sie seien in der Nutzun...