Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz gegen eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Windmessmastes
Leitsatz (amtlich)
1. In Antragsverfahren nach den §§ 80a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist Entscheidungskriterium für die Verwaltungsgerichte die mit den Erkenntnismöglichkeiten des Eilverfahrens zu prognostizierende Erfolgsaussicht des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs des Dritten gegen die Baugenehmigung. Maßgebend ist daher eine für den Erfolg des Widerspruchs beziehungsweise einer anschließenden Anfechtungsklage der Antragstellerin unabdingbare Verletzung ihrem Schutz dienender Vorschriften des öffentlichen Rechts durch die Baugenehmigung (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
2. Eine Anordnung der kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (§§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 212a Abs. 1 BauGB) ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine Baugenehmigung kommt nur in Betracht, wenn die überschlägige Rechtskontrolle zumindest gewichtige Zweifel an der rechtlichen Unbedenklichkeit der angefochtenen Genehmigung mit Blick auf die Position des Anfechtenden ergibt.
3. Die unzutreffende verfahrensrechtliche Zuordnung des bekämpften Vorhabens im Verhältnis des bauordnungsrechtlichen zum gegebenenfalls vorrangigen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren begründet keine subjektive Rechtsverletzung des sich gegen die Baugenehmigung wendenden Rechtsbehelfsführers.
4. “Dritter” im Verständnis des eine aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegen die Baugenehmigung ausschließenden § 212a Abs. 1 BauGB ist auch eine Standortgemeinde, die sich unter Berufung auf die der formalen Absicherung der gemeindlichen Planungshoheit (§ 2 Abs. 1 BauGB) dienenden Bestimmungen in § 36 BauGB gegen eine ohne ihr Einvernehmen erteilte bauaufsichtliche Zulassung eines Bauvorhabens wendet.
5. Zur Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens im Baugenehmigungsverfahren sowohl nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB als auch hinsichtlich der Gewährung einer Ausnahme von einer Veränderungssperre (§ 14 Abs. 2 Satz 2 BauGB).
6. Nach § 72 Abs. 4 LBO 2004 entfällt die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs und einer eventuell nachfolgenden Anfechtungsklage gegen die nach §§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 212a Abs. 1 BauGB sofort vollziehbare Baugenehmigung ausdrücklich auch hinsichtlich der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens.
7. Im Falle der rechtzeitigen Versagung ihres Einvernehmens hat die Gemeinde einen Anspruch darauf, dass die Bauaufsichtsbehörde kein Vorhaben zulässt, das den im Rahmen der Entscheidung nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB ihrer Beurteilung unterliegenden planungsrechtlichen Zulässigkeitsanforderungen nicht entspricht. Dementsprechend ist die Befugnis der Bauaufsichtsbehörde zur Ersetzung des Einvernehmens von vorneherein zwingend auf die Fälle der “rechtswidrigen” Versagung durch die Gemeinde begrenzt.
8. Ein Windmessmast, mit dem die Windhöffigkeit eines bestimmten Grundstücks mit Blick auf die vom Betreiber (Bauherrn) ins Auge gefasste Errichtung einer Windkraftanlage bestimmt werden soll, gehört zu den vom Bundesgesetzgeber in § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB für im Außenbereich bevorrechtigt zulässig erklärten Bauvorhaben, die der “Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie” dienen.
9. Zu der rechtlichen Beurteilung einer Veränderungssperre (§ 14 BauGB), mit der die Errichtung von Windkraftanlagen und – hier – bereits eines vorübergehend aufzustellenden Windmessmastes in einem im Teilabschnitt Umwelt des aktuellen Landesentwicklungsplans (LEP Umwelt 2004) als Vorranggebiet für Windenergie (VE) festgelegten Gebiet verhindert werden soll.
Normenkette
GG Art. 14, 28 Abs. 2 S. 1; SVerf Art. 117 Abs. 3; BayBO Art. 67 Abs. 3; VwGO § 65 Abs. 1, § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5 S. 1, § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 146 Abs. 4 S. 6; BauGB § 1 Abs. 4, 7, § 2 Abs. 1, 3, § 10 Abs. 3, § 14 Abs. 2 S. 2, § 17 Abs. 1 Sätze 1, 3, §§ 31, 35 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 S. 3, § 36 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3, § 212a Abs. 1; BImSchG § 19; 4. BImschV der § 1 Abs. 2; LBO 2004 § 72 Abs. 3 S. 1, Abs. 4; ROG § 3 Nr. 6
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 10. Juni 2010 – 5 L 535/10 – abgeändert und der Antrag zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 15.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
Mit Blick auf die im Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen vom 11.6.2010 unter Vorlage eines Auszugs aus dem Handelregister beim Amtsgericht Stuttgart angezeigte Änderung ihrer Firma war das Rubrum gegenüber dem Beschluss des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der Beigeladenenseite (§ 65 Abs. 1 VwGO) anzupassen.
I.
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Aussetzungsbegehren (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO) gegen eine der Beige...