Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Nachbarwiderspruchs gegen eine Baugenehmigung
Leitsatz (amtlich)
Lassen sich die hauptsachebezogenen Erfolgsaussichten eines Nachbarrechtsbehelfs gegen eine Baugenehmigung im Aussetzungsverfahren aufgrund der verfahrensformbedingt eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten nicht abschließend positiv beurteilen, so ist für eine Anordnung der kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (§§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 212a Abs 1 BauGB) ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung nur Raum, wenn die überschlägige Rechtskontrolle zumindest gewichtige Zweifel an der nachbarrechtlichen Unbedenklichkeit der angefochtenen Genehmigung ergibt. Es ist hingegen auch in dem Zusammenhang nicht die Sache des privaten Nachbarn, allgemein über die Einhaltung des öffentlichen Rechts zu „wachen” und jegliche Realisierung rechtswidriger Bauvorhaben zu verhindern.
Aus Sicht des Bauherrn (Bauerlaubnisnehmers) günstige Rechtsänderungen, die nach Erteilung der Baugenehmigung in Kraft treten, sind im Rahmen des Nachbarrechtsbehelfsverfahrens zu berücksichtigen.
Die Festsetzung der Zahl der Vollgeschosse in einem Bebauungsplan begründet als Konkretisierung des zulässigen Maßes baulicher Nutzung im Falle ihrer Nichtbeachtung nur dann subjektive nachbarliche Abwehrrechte gegen ein Bauvorhaben, wenn dem Bebauungsplan ein ausdrücklich erklärter oder zumindest aus den Planunterlagen oder der Planzeichnung unzweifelhaft erkennbarer dahingehender Regelungswille der Gemeinde als Satzungsgeberin entnommen werden kann.
Die Festsetzung der Hausform Doppelhaus in der offenen Bauweise in einem Bebauungsplan entfaltet nicht per se in jedem Fall nachbarschützende Wirkung, sondern nur insoweit, als sie ein nachbarliches Austauschverhältnis zwischen dem Eigentümer des Baugrundstücks und dem sich konkret gegen das Bauvorhaben wendenden Nachbarn begründet, also regelmäßig im Verhältnis der Eigentümer der die beiden Doppelhaushälften tragenden Grundstücke zueinander.
Betrifft eine Befreiung nicht nachbarschützende Festsetzungen eines Bebauungsplans, so kann sich ein nachbarlicher Abwehranspruch (allenfalls) über das Gebot nachbarlicher Rücksichtnahme in entsprechender Anwendung des § 15 Abs. 1 BauNVO unter Berücksichtigung der Interessenbewertung des § 31 Abs. 2 BauGB ergeben.
Eine geringe Größe des Nachbargrundstücks bildet einen situationsbedingten Lagenachteil, der bei der Beurteilung der Frage der „Rücksichtslosigkeit” des bekämpften Bauvorhabens keine entscheidende Rolle spielen kann.
Verfahrensgang
VG des Saarlandes (Beschluss vom 14.12.2004; Aktenzeichen 5 F 20/04) |
Tenor
Der Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung wird wie folgt neu gefasst:
„In Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 26.8.2004 – 5 F 20/04 – werden die Anträge der Antragsgegnerin des Abänderungsverfahrens auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die dem Antragsteller des Abänderungsverfahrens erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses in der Fassung des Bauscheins vom 14.4.2004 sowie auf Verpflichtung des weiteren Beteiligten zu Erlass und Durchsetzung einer Baueinstellungsverfügung zurückgewiesen.
Die Kosten des Abänderungsverfahrens einschließlich der Kosten des weiteren Beteiligten trägt die Antragsgegnerin.
Der Streitwert wird auf 2.500,– EUR festgesetzt.”
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 14. Dezember 2004 – 5 F 27/04 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,– EUR festgesetzt.
Tatbestand
I. Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die Ausführung eines dem Antragsteller genehmigten Mehrfamilienhauses auf dem ihrem Wohnhausanwesen unmittelbar südlich benachbarten Grundstück Parzelle Nr. 107/1 in Flur 7 der Gemarkung A-Stadt. Das Wohnhaus auf dem Grundstück der Antragsgegnerin (Parzelle Nr. 108/1) reicht bis an die gemeinsame Grenze. Südlich des Baugrundstücks befindet sich auf der Parzelle Nr. 105/4 ebenfalls an der gemeinsamen Grenze ein weiteres Wohngebäude. Die genehmigte Bebauung soll dergestalt erfolgen, dass im Wege eines Lückenschlusses an diese beiden seitlich auf der Grenze befindlichen Wohnhäuser angebaut wird, wobei das Ausmaß der Grenzbebauung insbesondere im Verhältnis zu dem Haus auf der Parzelle Nr. 105/4 nicht unerheblich überschritten werden soll. Insoweit wurde dem Antragsteller eine Befreiung von der Verpflichtung zur Einhaltung von Abstandsflächen erteilt.
Sämtliche Grundstücke liegen im Geltungsbereich des am 27.9.1974 vom Rat der Stadt A-Stadt beschlossenen Bebauungsplans „A-Stadt-West I.BA, Änderung I”. Dieser begrenzt unter anderem die Zahl der zulässigen Vollgeschosse auf 2, schreibt eine offene Bauweise vor und enthält für den Bereich des Baugrundstückes ferner die ausdrückliche Vorgabe, dass dort „nur Doppelhäuser zulässig” sind. Dem Antragsteller wurde durch Befreiung...