Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf der Niederlassungserlaubnis
Leitsatz (amtlich)
1. Die Ausländerbehörde hat nach der den Widerruf in ihr Ermessen stellenden Vorschrift des § 52 Abs. 1 Satz 1 AufenthG allgemein die persönlichen Umstände des jeweiligen Falles und dabei insbesondere die gegen einen Widerruf sprechenden Interessen des Ausländers zu berücksichtigen. Hierzu gehört auch die Wertentscheidung des Art. 8 EMRK.
2. In den Fällen des § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG entsteht mit dem Fortfall des Aufenthaltszwecks der Schutzbedürftigkeit hinsichtlich politischer Verfolgung ein gewichtiges öffentliches Interesse am Widerruf eines nur im Hinblick darauf erteilten ausländerrechtlichen Aufenthaltstitels.
3. Hat der vom Widerruf betroffene Ausländer, der über lange Jahre eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis/Niederlassungserlaubnis innehat, aber inzwischen seine Einbürgerung auf der Grundlage des bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen eine Vermutung gelungener Integration begründenden § 10 StAG förmlich beantragt, so muss die Ausländerbehörde diesen Aspekt und auch die Erfolgsaussichten dieses Einbürgerungsbegehrens zumindest mit Gewicht in ihre Ermessenserwägungen einstellen.
4. Dies gilt insbesondere bei minderjährigen in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kindern, bei denen Fragen der eigenen wirtschaftlichen Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse nach § 10 Abs. 1 Satz 3 StAG den Einbürgerungsanspruch nicht ausschließen wohl aber der Widerruf der Niederlassungserlaubnis, deren Vorliegen auch noch im Einbürgerungszeitpunkt § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG erforderlich ist.
Normenkette
AufenthG § 52 Abs. 1 S. 1; StAG § 10
Verfahrensgang
VG des Saarlandes (Beschluss vom 21.08.2006; Aktenzeichen 10 F 34/06) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 21. August 2006 – 10 F 34/06 – abgeändert und die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den im Bescheid des Antragsgegners vom 12.6.2006 enthaltenen Widerruf der Niederlassungserlaubnis wieder hergestellt beziehungsweise hinsichtlich der gleichzeitig erlassenen Abschiebungsandrohung angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,– EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Eltern des 1993 in A-Stadt geborenen Antragstellers, A und M A., gehören zur Volksgruppe der Ägypter aus Gjakove im Kosovo, reisten im Juli 1992 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Auf die nach Ablehnung dieses Antrags erhobene Klage verpflichtete zunächst das Verwaltungsgericht das Bundesamt im April 1994, dem Anerkennungsbegehren zu entsprechen.
Der Antragsteller selbst wurde im Oktober 1994 auf entsprechenden Antrag vom Bundesamt unter Hinweis auf eine für ethnische Albaner aus dem Kosovo im Rückkehrfall in Anknüpfung an ihre Volkszugehörigkeit zu befürchtende Gruppenverfolgung als Asylberechtigter anerkannt. Eine Klage des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten gegen den Anerkennungsbescheid hat das Verwaltungsgericht im April 1995 unter Hinweis, dass dem Kläger jedenfalls ein Anspruch auf Familienasyl mit Blick auf die im Verfahren der Eltern ergangene verwaltungsgerichtliche Entscheidung zustehe, abgewiesen. Unter dem 28.6.1995 wurde ihm eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt.
Das die Verpflichtung der Anerkennung der Eltern enthaltende Urteil wurde im November 1996 auf die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten vom Oberverwaltungsgericht aufgehoben. Daraufhin widerrief das Bundesamt im März 2003 die Asylanerkennung des Antragstellers. Rechtsbehelfe dagegen blieben ohne Erfolg.
Mit Schreiben vom 21.12.2005 teilte die Landeshauptstadt A-Stadt (Bürgeramt City) dem Antragsgegner mit, dass für den Antragsteller ein Antrag auf Einbürgerung gestellt worden sei und bat um Übersendung der Ausländerakten.
Durch Bescheid vom 12.6.2006 widerrief der Antragsgegner die nach den Übergangsvorschriften als Niederlassungserlaubnis fortgeltende Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers unter Verweis auf den negativen Abschluss des Asylverfahrens der Eltern, forderte ihn zur Ausreise binnen eines Monats auf und drohte ihm für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung an. In der Begründung wurde auf das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des einschlägigen § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG verwiesen. Im Rahmen des vom Gesetzgeber eröffneten Ermessensspielraums seien sämtliche Umstände des Einzelfalls einschließlich schutzwürdiger Interessen des Ausländers an dem weiteren Verbleib in Deutschland, insbesondere bestehende Ansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung, in den Blick zu nehmen. Allerdings sei ein auf der Asylanerkennung aufbauendes Aufenthaltsrecht nicht ausreichend und könne dem Widerruf nicht entgegenstehen. Seit der Abweisung der Asylklage der Eltern im Jahre 1996 sei klar gewesen, dass die von der Berechtigung der Eltern abgeleitete Asylaner...