Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachbarschutz gegen Kfz-Werkstatt. baurechtliches Rücksichtnahmegebot. Bewertung des Interesses des privaten Wohnnachbarn an der Vermeidung nicht unwesentlicher Immissionen
Leitsatz (amtlich)
Lassen sich die Erfolgsaussichten im Aussetzungsverfahren aufgrund der verfahrensformbedingt eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten nicht abschließend positiv beurteilen, so ist für eine Anordnung der kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (§§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, 212a Abs. 1 BauGB) ausgeschlossenen aufschiebenden Wirkung eines Nachbarrechtsbehelfs gegen eine Baugenehmigung nur Raum, wenn die überschlägige Rechtskontrolle zumindest gewichtige Zweifel an der nachbarrechtlichen Unbedenklichkeit der angefochtenen Genehmigung ergibt.
Da der § 34 BauGB mit seinen Kriterien für die städtebauliche Zulässigkeit baulicher Nutzungen in der unbeplanten Ortslage allein an die faktischen Gegebenheiten der maßgeblichen, das Baugrundstück prägenden Umgebungsbebauung anknüpft, sind in dem Zusammenhang ungenehmigte Nutzungen nur dann auszuscheiden, wenn die Bauaufsichtsbehörde sich mit ihnen erkennbar nicht abgefunden hat und dagegen auch vorgeht.
Jedenfalls in einem im Einzelfall nach der Verkehrsanschauung zu bestimmenden Zeitraum, in dem mit der Wiederaufnahme gerechnet werden kann, ist von einer fortdauernden Prägung auch aufgegebener Nutzungen für den Gebietscharakter auszugehen.
Bei der im Baunachbarstreit um eine Baugenehmigung im Rahmen des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots anzustellenden Zumutbarkeitsbetrachtung lassen sich Abwehrrechte des Nachbarn nicht aus vom Genehmigungsinhalt nicht gedeckten Verhaltensweisen oder gar “Benutzerexzessen” Dritter herleiten (hier: angeblich rücksichtsloses Fahrverhalten der Kunden einer Autowerkstatt).
Für baunachbarliche Eilrechtsschutzverfahren, und zwar sowohl für Anträge auf die Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörden zum sofortigen Einschreiten gerichtete Eilrechtsschutzbegehren (§§ 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, 123 Abs. 1 VwGO) als auch für die im Falle des Vorliegens einer die Nutzung legitimierenden bauaufsichtsbehördlichen Genehmigungsentscheidung im Einzelfall notwendig “vorgeschalteten” Aussetzungsanträge von Nachbarn ist ein überwiegendes Nachbarinteresse an der in beiden Fällen im Ergebnis angestrebten sofortigen Unterbindung von Beeinträchtigungen, die durch die Nutzung einer bereits vorhandenen baulichen Anlage verursacht werden, nur dann anzuerkennen, wenn die Einwirkungen auf den Nachbarn ganz wesentlich über das im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG Erhebliche hinausgehen, so dass ihm die Hinnahme nicht einmal vorübergehend bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache in zumutbarer Weise angesonnen werden kann.
Auch das verfassungsrechtliche Effektivitätsgebot des Art. 19 Abs. 4 GG gebietet im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes keine verfahrensmäßige “Vorwegnahme” des Hauptsacheverfahrens, insbesondere hinsichtlich der Tatsachenermittlung. Die sich aus § 212a Abs. 1 BauGB ergebenden Nachteile für den Nachbarn, aber auch die damit einhergehenden wirtschaftlichen Risiken für den Bauherrn angesichts der Möglichkeit eines späteren Erfolgs des Nachbarrechtsbehelfs in der Hauptsache hat der Gesetzgeber in Kauf genommen.
Der Senat bewertet das Interesse eines privaten Wohnnachbarn, der sich gegen eine Baugenehmigung für eine bei typisierender Betrachtung der Umgebung durch nicht unwesentliche Immissionsbelastungen in Erscheinung tretende gewerbliche Nutzung – hier eine Kfz-Werkstatt – wendet, hauptsachebezogen mit regelmäßig 15.000,- EUR (Änderung der Rechtsprechung).
Normenkette
VwGO § 80 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5 S. 1, § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 123 Abs. 1, § 146 Abs. 4 S. 6; BImSchG § 5 Abs. 1 Nr. 1; BauGB §§ 34, 212a Abs. 1; BauNVO §§ 3-4; LBO 2004 § 82 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 11. August 2008 – 5 L 553/08 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren sowie unter teilweiser Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 11. August 2008 – 5 L 553/08 – auch für das erstinstanzliche Verfahren auf 7.500,- EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des mit einem Wohnhaus (C…-Straße) bebauten Grundstücks Parzelle Nr. 36/1 in Flur 9 der Gemarkung A…-Stadt. Sie wendet sich gegen eine dem Beigeladenen auf der südöstlich, jenseits der W…-Straße gelegenen Parzelle Nr. 32/7 genehmigte Kfz-Werkstätte. Auf diesem nicht beplanten Anwesen (W…-Straße 75) befinden sich rechtsseitig auf der Grenze zur im Eigentum der Gemeinde A…-Stadt stehenden Parzelle Nr. 32/8 ein ca. 80 m langes aus verschiedenen Abschnitten bestehendes Hallengebäude (nach den Genehmigungsunterlagen: “Gebäude 1”) und westlich hiervon ein weiteres Haus...