Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung der Berufung bei Geltendmachung eines Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot. Ortsbesichtigung
Leitsatz (amtlich)
1. Hinsichtlich der von der Baumasse eines Gebäudes ausgehenden räumlichen Wirkungen auf die Nachbargrundstücke ist ein Nachbarschutz auf der Grundlage des in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebots nicht schlechthin ausgeschlossen, wenn die landesrechtlichen Abstandsbestimmungen eingehalten sind. Allerdings ist in diesen Fällen das Rücksichtnahmegebot aus tatsächlichen Gründen nur in Ausnahmefällen verletzt.
2. Allein der Umstand, dass die Beantwortung dieser Frage in aller Regel die Verschaffung eines Eindrucks von den örtlichen Gegebenheiten voraussetzt und daher (auch) von einem Rechtsmittelgericht regelmäßig nicht abschließend auf Grund der Aktenlage beurteilt werden kann, rechtfertigt weder die Annahme, das auf einer Ortsbesichtigung beruhende Ergebnis der Beurteilung des Verwaltungsgerichts unterläge ernstlichen Zweifeln hinsichtlich seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), noch die Bejahung „besonderer” Schwierigkeit im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.
3. Hat sich das Verwaltungsgericht – im konkreten Fall sogar nach Ausführung des Vorhabens – einen Eindruck von dem „Baugrundstück” und seiner Umgebung, insbesondere auch von der Situation des Nachbargrundstücks verschafft und anschließend eine nach den Maßstäben der Rechtsprechung nachvollziehbare Bewertung vorgenommen, so ist die Zulassung der Berufung nur geboten, wenn das Antragsvorbringen besondere Aspekte des Falles aufzeigt, die eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Unrichtigkeit des vom Verwaltungsgericht gefundenen Ergebnisses rechtfertigen können. Ob die Einschätzung des Verwaltungsgerichts im konkreten Fall im Ergebnis „mit Gewissheit” richtig ist, ist keine sich im Zulassungsverfahren stellende Frage.
Normenkette
BauGB § 34 Abs. 1; VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
VG des Saarlandes (Urteil vom 14.02.2007; Aktenzeichen 5 K 125/05) |
Nachgehend
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 14. Februar 2007 – 5 K 125/05 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Klägerin. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.
Der Streitwert wird für das Berufungszulassungsverfahren sowie unter entsprechender Abänderung der im Urteil des Verwaltungsgerichts enthaltenen Festsetzung auch für das Verfahren in erster Instanz auf jeweils 10.000,– EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem heute zu Wohnzwecken benutzten ehemaligen Musterhaus einer Fertigbaufirma bebauten Grundstücks Parzelle Nr. 248/7 in Flur 9 der Gemarkung L. Auf den südöstlich anschließenden größeren Parzellen Nr. 248/11 und Nr. 242/2 befindet sich eine Baustoffhandlung mit zugehörigen Betriebsgebäuden und Lagerflächen. Ein Bebauungsplan für den Bereich existiert nicht.
Die Klägerin, die sich in der Vergangenheit bereits in mehreren Verfahren letztlich erfolglos gegen die Errichtung von Anlagen dieses Unternehmens, insbesondere einer „Baustofflagerhalle” auf der Parzelle Nr. 242/2 gewandt hatte, (vgl. insoweit zuletzt das durch Urteil des OVG des Saarlandes vom 30.3.2004 – 1 R 8/03 – beziehungsweise den die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung zurückweisenden Beschluss des BVerwG vom 22.7.2004 – 4 B 48.04 – abgeschlossene Verfahren betreffend die Anfechtung einer auf Zulassungsentscheidungen aus dem Jahre 1997 bezogenen Änderungsbaugenehmigung für den „Neubau einer Baustofflagerhalle”) begehrt im vorliegenden Rechtsstreit die Aufhebung einer der Beigeladenen mit Bauschein vom 18.5.2004 im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 67 LBO 1996 erteilten Baugenehmigung für den „Neubau einer Lagerhalle zur Lagerung von Trockenbaustoffen” auf der rückseitig an ihr Grundstück anschließenden Parzelle Nr. 248/11. In den genehmigten Bauvorlagen ist eine seitlich versetzt an die bestehende Halle angebaute eingeschossige, 28,42 m auf 27 m große Halle mit einer maximalen Firsthöhe von 9,44 m dargestellt. Diese erreicht nach den Plänen rückseitig eine Traufhöhe von 7,06 m und hält an dieser Seite zum Grundstück der Klägerin Grenzabstände zwischen 8,09 m und 7,29 m ein.
Zur Begründung ihrer nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (vgl. hierzu den Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses in Merzig vom 17.6.2005 – KRA – 15/05 –) erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, das im Zusammenhang mit der vorhandenen Baustofflagerhalle zu sehende Vorhaben sei ihr gegenüber rücksichtslos. Dieses vermittle ihr das Gefühl des „Eingemauertseins”, wirke „erdrückend” und entziehe ihrem Grundstück in unzumutbarer Weise Licht und Sonne. Der Beklagte und die Beigeladene sind dem entgegengetreten.
Das Verwaltungsgericht hat im Januar 2007 eine Ortsbesichtigung vorgenommen, dabei das in Ausnutz...