Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörungsrüge im Berufungszulassungsverfahren. baurechtlicher Nachbarstreit
Leitsatz (amtlich)
1. Hat sich das Verwaltungsgericht für die Beurteilung der Frage des Vorliegens einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots im baurechtlichen Nachbarstreit einen Eindruck von dem „Baugrundstück” und seiner Umgebung, insbesondere auch von der Situation des Nachbargrundstücks verschafft und anschließend eine nach den Maßstäben der Rechtsprechung nachvollziehbare Bewertung vorgenommen, so ist die Zulassung der Berufung auf der Grundlage des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur geboten, wenn das Antragsvorbringen besondere Aspekte des Falles aufzeigt, die eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Unrichtigkeit des vom Verwaltungsgericht gefundenen Ergebnisses rechtfertigen können.
2. Dass die „Eröffnung” des auf die volle Überprüfung verwaltungsgerichtlicher Urteile in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zielenden Rechtsmittels der Berufung seit dem Inkrafttreten des 6. VwGO Änderungsgesetzes zum 1.1.1997 einem generellen Zulassungserfordernis unterliegt, verdeutlicht ohne weiteres, dass die Zurückweisung eines Zulassungsantrags nicht die abschließende Feststellung durch das Rechtsmittelgericht voraussetzen kann, dass das erstinstanzliche Urteil „mit Gewissheit” richtig ist.
3. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen der Gebote effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) gebieten keine davon abweichende Interpretation der Zulassungstatbestände der § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 VwGO.
Normenkette
VwGO § 124 Abs. 2 Nrn. 1-2; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Anhörungsrüge der Klägerin gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 21. Juni 2007 – 2 A 152/07 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rügeverfahrens trägt die Klägerin. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt die Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 14.2.2007 – 5 K 125/05 –, mit dem ihre Klage auf Aufhebung einer der Beigeladenen mit Bauschein des Beklagten vom 18.5.2004 erteilten Baugenehmigung für den „Neubau einer Lagerhalle zur Lagerung von Trockenbaustoffen” auf einem rückseitig an ihr Wohnanwesen angrenzenden Grundstück abgewiesen wurde Das Verwaltungsgericht hat nach Durchführung einer Ortseinsicht, in deren Zeitpunkt das Gebäude bereits ausgeführt worden war, unter anderem eine Verletzung des Gebotes nachbarlicher Rücksichtnahme (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) wegen der Auswirkungen auf das Grundstück der Klägerin verneint. Den Berufungszulassungsantrag hat der Senat mit Beschluss vom 21.6.2007 – 2 A 152/07 – zurückgewiesen. Insoweit macht die Klägerin eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) geltend.
Entscheidungsgründe
II.
Die Anhörungsrüge (§ 152a VwGO) der Klägerin ist unbegründet und rechtfertigt nicht die damit beantragte Fortsetzung des Berufungszulassungsverfahrens. Eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör liegt nicht vor (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Eine solche möchte die Klägerin konkret aus folgender Passage des beanstandeten Beschlusses des Senats (Seiten 6 und 7) herleiten:
”Hat sich das Verwaltungsgericht – hier sogar nach Ausführung des Vorhabens – einen Eindruck von dem „Baugrundstück” und seiner Umgebung, insbesondere auch der Situation des Nachbargrundstücks verschafft und anschließend eine nach den Maßstäben der Rechtsprechung nachvollziehbare Bewertung vorgenommen, so ist die Zulassung der Berufung nur geboten, wenn das Antragsvorbringen besondere Aspekte des Falles aufzeigt, die eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Unrichtigkeit des vom Verwaltungsgericht gefundenen Ergebnisses rechtfertigen können. Ob die Einschätzung des Verwaltungsgerichts im konkreten Fall im Ergebnis „mit Gewissheit” richtig ist, ist keine sich im Zulassungsverfahren stellende Frage.”
Die Klägerin macht geltend, die letztgenannte Aussage, die im Übrigen ständiger Rechtssprechung des erkennenden und auch des früher für Bausachen zuständigen 1. Senats entspricht und die in einer Vielzahl von – unter anderem auch unter Beteiligung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ergangenen – Entscheidungen zum Ausdruck gekommen ist, (vgl. die in den Fußnoten 8 bis 10 des Beschlusses vom 21.6.2007 – 2 A 152/07 – angeführten Beschlüsse des 1. und des 2. Senats, wobei beispielsweise der Beschluss vom 20.7.2001 – 2 Q 10/01 –, SKZ 2002, 159 Leitsatz Nr. 35, einen Berufungszulassungsantrag der Klägerin betraf, und die entsprechende Passage auch in veröffentlichten Leitsatz enthalten ist) halte „einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand”. Hierdurch werde die „gerichtliche Prüfungskompetenz im Zulassungsverfahren auf eine Art Schlüssigkeits- oder Evidenzprüfung reduziert” beziehungsweise die ...