Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufige Dienstenthebung eines Postzustellers. zur Prognose einer „voraussichtlichen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis”
Leitsatz (amtlich)
1. Die Prognose einer „voraussichtlichen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis” gemäß § 38 Abs. 1 und Abs. 2 BDG erfordert keine spezifischen Verfahrenshandlungen, vor allem keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen, kann mithin durchaus auf dokumentierte und durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse gestützt werden.
2. Eine Vielzahl, für sich gesehen geringerer Pflichtverletzungen im Kernbereich der Dienstaufgaben, die sich über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren erstrecken, kann bei einschlägiger disziplinarer Vorbelastung das Vertrauen des Dienstherrn (oder der Allgemeinheit) endgültig zerstört haben.
Normenkette
BDG § 38 Abs. 1-2
Verfahrensgang
VG des Saarlandes (Beschluss vom 18.04.2007; Aktenzeichen 4 L 202/07) |
Tenor
Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 18. April 2007 – 4 L 202/07 – wird der Antrag zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Gründe
Die vom Senat mit Beschluss vom 14.6.2007 – 7 B 216/07 – zugelassene Beschwerde ist begründet.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der gemäß § 63 Abs. 1 BDG zulässige Antrag auf Aussetzung der mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.1.2007 angeordneten vorläufigen Dienstenthebung des Antragstellers und Einbehaltung von 15 Prozent seiner Dienstbezüge nicht begründet.
Im Ausgangspunkt zutreffend ist die Prämisse des Verwaltungsgerichts, dass eine vorläufige Dienstenthebung gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 BDG die Prognose erfordert, dass in Disziplinarverfahren voraussichtlich, das heißt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit, die disziplinare Höchstmaßnahme – Entfernung aus dem Dienst – zu erwarten ist
vgl. u.a. BVerwG, Beschluss vom 24.10.2002 – 1 DB 10/02 –, Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 33 = ZBR 2003, 94 = IÖD 2003, 32; BayVGH, Beschluss vom 15.3.2007 – 16a Ds 06.3292 –, IÖD 2007, 149.
Nicht gefolgt werden kann indes der die Aussetzungsentscheidung im Kern tragenden Annahme des Verwaltungsgerichts, dass es für eine vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 BDG und die Einbehaltung eines Teils der Dienstbezüge (§ 38 Abs. 2 BDG) „nach wie vor einer rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechenden und der Fürsorgepflicht des Dienstherrn genügenden Verdachtsgrundlage bedarf, die sich bei oder nach Einleitung des behördlichen Disziplinarverfahrens aus einem Geständnis des Beamten, aus im Rahmen des Disziplinarverfahrens ordnungsgemäß erhobenen Beweisen oder aus in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren gewonnenen Erkenntnissen ergeben kann”. Diese Prämisse begegnet auf der Grundlage des § 38 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BDG jedenfalls insoweit erheblichen Bedenken, als unter Hinweis auf das frühere Recht auf das Erfordernis „ordnungsgemäß erhobener Beweise” abgestellt wird. Die auch nach § 38 Abs. 1 und Abs. 2 BDG erforderliche Prognosebeurteilung – im angegriffenen Beschluss mit dem der Sache nach gleichgesetzten Tatbestand einer „genügenden Verdachtsgrundlage” umschrieben – muss zweifelsohne auch in Ansehung der gesetzgeberischen Neuregelung des Bundesdisziplinarrechts durch das Bundesdisziplinargesetz allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen. Das ist eine Selbstverständlichkeit, ohne dass es zur Begründung eines Hinweises auf das früher geltende Recht bedarf. Die vom Verwaltungsgericht für eine rechtsstaatliche Vorgehensweise maßgeblich angeführten Regelungen der §§ 21, 24 BDG entsprechen im Kern den für die Sachverhaltsermittlung im allgemeinen behördlichen Verwaltungsverfahren geltenden Vorschriften, nämlich insbesondere den §§ 24, 26 VwVfG. Diese im Übrigen durch § 3 BDG ergänzend in Bezug genommenen Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes
nach Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern – Stand: Januar 2007 –, werden sie (gemeint ist wohl: „formal”) durch die vorrangigen §§ 20 ff. BDG verdrängt (vgl. Rn. 7 zu § 3 BDG),
genügen bei behördlicher Verwaltungstätigkeit (vgl. § 1 VwVfG), was – soweit für den Senat ersichtlich – in der Vergangenheit niemals ernsthaft in Frage gestellt worden ist, durchaus rechtsstaatlichen Grundsätzen. In diesem Zusammenhang berücksichtigt das Verwaltungsgericht unzureichend, dass das Bundesdisziplinargesetz das bisher (nicht förmliche) Vorermittlungsverfahren (§§ 26 bis 28 BDO) sowie das förmliche Untersuchungsverfahren (§§ 33 bis 36 BDO) durch ein einheitliches Verwaltungsverfahren (§§ 17 bis 37 BDG) abgelöst hat, „das freilich wie bisher der umfassenden Ermittlung des Sachverhalts dient (§ 21 BDG)”
so zutreffend u.a. Urban, NVwZ 2001, 1335 (1337).
Davon ausgehend kann die Prognose einer „voraussichtlichen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis” gemäß § 38 Abs. 1 und Abs. 2 BDG durchaus auf dokumentierte und durch Aktenvermerke untermauerte E...