Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufige Außervollzugsetzung einer Veränderungssperre
Leitsatz (amtlich)
1. Wie die Formulierungen in § 47 Abs. 6 VwGO verdeutlichen, ist nach dem Willen des Gesetzgebers bei der Entscheidung, ob eine der Normenkontrolle durch das Oberverwaltungsgericht unterliegende städtebauliche Satzung (§§ 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) vorläufig außer Vollzug gesetzt werden soll, mit Blick auf die demokratische Legitimation des Normgebers – hier der Mitglieder des Gemeinderats – und die regelmäßig weit reichenden Folgen einer solchen Entscheidung ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Die Anforderungen an eine vorläufige Regelung auf der Grundlage des § 47 Abs. 6 VwGO gehen daher deutlich über das hinaus, was der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO voraussetzt.
2. Dem Interesse der Gemeinden an der Ausübung der ihnen vom Bundesgesetzgeber über § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB eröffneten Planungshoheit als Ausfluss der verfassungsrechtlich verankerten kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 117 Abs. 3 SVerf) ist ein hoher Stellenwert beizumessen, so dass in aller Regel nur evidente Gültigkeitsbedenken hinsichtlich der Satzung ein derartige Anordnung zu rechtfertigen vermögen.
3. Aus dem Umstand, dass auch der Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan erst mit seiner Bekanntgabe nach außen wirksam wird, kann im Rahmen des § 14 Abs. 1 BauGB nicht abgeleitet werden, dass eine Veränderungssperre erst nach Bekanntmachung des Aufstellungsbeschlusses beschlossen werden darf. Es ist zulässig, dass beide Beschlüsse in derselben Sitzung des Gemeinderats gefasst werden und als ausreichend anzusehen, wenn Aufstellungsbeschluss und Veränderungssperre „gleichzeitig” bekannt gemacht werden.
4. Eine Veränderungssperre ist im Sinne des § 14 Abs. 1 BauGB „zur Sicherung der Planung” beschlossen und damit keine reine Verhinderungsplanung, wenn im Zeitpunkt ihres Erlasses hinreichend konkrete Vorstellungen der Gemeinde über den künftigen Inhalt des Bebauungsplans vorhanden sind, was ein Mindestmaß an Klarheit darüber erfordert, welche Ziele und Zwecke mit der Planung verfolgt werden sollen.
5. Die Annahme eines Sicherungsbedürfnisses im Sinne des § 14 Abs. 1 BauGB für eine eingeleitete städtebauliche Planung setzt anerkannter Maßen nicht voraus, dass bereits im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Veränderungssperre die Rechtmäßigkeit des künftigen Bebauungsplans feststeht. Vielmehr ist eine solche Satzung nur dann als ungültig zu bewerten, wenn bereits bei ihrem Erlass offenkundig ist, das die Planungsziele der Gemeinde, die gesichert werden sollen, mittels einer rechtmäßigen Bauleitplanung von vorneherein nicht erreichbar sind.
6. Der § 1 Abs. 9 BauNVO 1990 räumt den Gemeinden grundsätzlich die Möglichkeit ein, über den Differenzierungen nach bestimmten „Nutzungsarten” erlaubenden § 1 Abs. 5 BauNVO 1990 hinaus bei Vorliegen besonderer städtebaulicher Gründe auch einzelne Unterarten von Nutzungen oder Anlagen zum Gegenstand von Festsetzungen im Sinne des § 1 Abs. 5 bis Abs. 8 BauNVO 1990 zu machen, sofern es sich um Anlagentypen handelt, die sich von anderen Typen derselben Nutzungsart klar abgrenzen lassen. Ein Anlagentyp kann auch durch die Beschreibung von Ausstattungsmerkmalen einer Anlage zutreffend bezeichnet werden.
7. Der Bundesgesetzgeber hat für Fälle, in denen ein Bauvorhaben den Sicherungszwecken der Veränderungssperre nicht zuwiderläuft, etwa weil es den künftigen Festsetzungen erkennbar bereits Rechnung trägt, im § 14 Abs. 2 BauGB die Möglichkeit der Erteilung von Ausnahmen vorgesehen. Ein entsprechendes Vorbringen des Bauwilligen rechtfertigt daher nicht die Suspendierung der Veränderungssperre nach § 47 Abs. 6 VwGO.
Normenkette
VwGO § 47 Abs. 6, § 123 Abs. 1; BauGB § 2 Abs. 1 S. 1, § 14 Abs. 1; GG Art. 28 Abs. 2; SVerf Art. 117 Abs. 3
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert wird auf 50.000,– EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin, eine im April 2003 zu diesem Zwecke gegründete Gesellschaft bürgerlichen Rechts, beabsichtigt, in dem durch gleichnamigen Bebauungsplan der Antragsgegnerin festgesetzten „Gewerbegebiet N” ein Biomassekraftwerk zur Verfeuerung von Altholz der Kategorien A-I und A-II (Altholzverordnung) mit einer Feuerungsleistung von 22 MW und einer elektrischen Leistung von 5 MW zu errichten und zu betreiben. Der erzeugte Strom soll in das öffentliche Netz eingespeist werden. Daneben soll Altholz angenommen, sortiert und aufbereitet werden.
Ein Zulassungsantrag für die Anlage nach Immissionsschutzrecht wurde beim zuständigen Landesamt für Umwelt und Arbeitsschutz im Dezember 2003 gestellt. Mit Schreiben vom 25.7.2007, eingegangen am 27.7.2007, ersuchte das Landesamt die Antragsgegnerin mit Blick auf notwendige Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans um die Erteilung ihres Einvernehmens zu dem Vorhaben.
Unter dem 26.9.2007 versagte die Antragsgegnerin ihr Einvernehmen. D...