Entscheidungsstichwort (Thema)
Zwischenregelung im Beschwerdeverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Auch bei Vorliegen evident (objektiv) rechtswidriger Veraltungsentscheidungen – hier von einer Gemeinde für ein genehmigungsfrei gestelltes Bauvorhaben erteilte umfangreiche isolierte Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans – kann im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens keine von der subjektiven Rechtsposition des um Rechtsschutz ersuchenden Nachbarn losgelöste Beurteilung vorgenommen werden. Das gilt auch für Zwischenregelungen (Vorabentscheidungen) unmittelbar auf der Grundlage des verfassungsrechtlichen Gebots der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG).
2. Hat das Verwaltungsgericht ein Aussetzungsbegehren des Nachbarn nach Prüfung seiner Einwände unter Hinweis auf das Fehlen einer subjektiven Betroffenheit zurückgewiesen, so kann eine Zwischenregelung für das Beschwerdeverfahren nur getroffen werden, wenn die erstinstanzliche Entscheidung evident fehlerhaft ist.
3. Vom Eintritt „vollendeter Tatsachen” durch die Bauausführung kann erst ab einem gewissen Baufortschritt die Rede sein.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1; LBO 2004 § 63; BauGB § 31 Abs. 2, § 212a
Tenor
Die Anträge des Antragstellers auf Erlass von Vorabentscheidungen (Zwischenregelungen) für das Beschwerdeverfahren werden zurückgewiesen.
Die Kosten dieses Zwischenverfahrens trägt der Antragsteller.
Der Streitwert wird insoweit auf 750,– EUR festgesetzt.
Gründe
Die gleichzeitig mit der Erhebung der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 12.3.2007 – 5 L 309/07 – gestellten Anträge des Antragstellers und (insoweit) Beschwerdeführers,
- gemäß Art. 19 Abs. 4 GG die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Befreiungsbescheide der Antragsgegnerin zu 1) vom 16.11.2006 (6/06B, 7/06B und 8/06B) bis zur Entscheidung des Senats über die Beschwerde einstweilen anzuordnen, und
- den Antragsgegner zu 2) gemäß Art. 19 Abs. 4 GG zu verpflichten, einstweilen bis zur Entscheidung des Senats die Bauarbeiten zur Errichtung eines Neubaus auf dem Grundstück Gemarkung E, Flur 5, Parzelle Nr. 94/44 sofort vollziehbar einzustellen, die Anordnung mit einem angemessenen Zwangsgeld zu bewehren und erforderlichenfalls durchzusetzen,
bleiben ohne Erfolg. Zwar verweist der Antragsteller zu Recht darauf, dass schon bei der hier allein möglichen „überschlägigen” Betrachtung alles dafür spricht, dass die den Beigeladenen von der Antragsgegnerin zu 1) vor Ausführung ihres Bauvorhabens „Neubau eines Zweifamilienwohnhauses”) im Genehmigungsfreistellungsverfahren nach § 63 LBO 2004 gewährten umfangreichen Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans für das „Gelände hinter der neuen Schule” der früheren Gemeinde E aus dem Jahre 1965 insbesondere hinsichtlich einer Überschreitung der Geschossflächenzahl, der überbaubaren Grundstücksflächen (Baugrenzen) und der zulässigen Zahl der Vollgeschosse am Maßstab des § 31 Abs. 2 BauGB objektiv rechtswidrig sind. Das hat das Verwaltungsgericht unschwer nachvollziehbar in dem vorerwähnten Beschluss im Einzelnen auch dargelegt und das bedarf hier keiner Wiederholung.
Nach dem geltenden Verwaltungsprozessrecht kann jedoch im baurechtlichen Nachbarstreit ungeachtet der objektiven Rechtswidrigkeit im Einzelfall bekämpfter Verwaltungsentscheidungen eine von der subjektiven Rechtsposition des um Rechtsschutz Ersuchenden losgelöste Beurteilung nicht vorgenommen werden. Das gilt nicht nur für das Hauptsacheverfahren, für dessen Erfolg sich das Erfordernis subjektiver Rechtsverletzung des Nachbarn aus § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO ergibt, sondern auch für diesem vorgeschaltete Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a, 123 VwGO). Für die hier begehrten Zwischenregelungen kann nichts anderes gelten. Wer keine Verletzung in eigenen Rechten zu besorgen hat, bedarf keiner „vorläufigen” Sicherung solcher Rechte.
Auch der Erlass einer im Verwaltungsprozessrecht nicht vorgesehenen, unmittelbar auf das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gestützten und von daher nur in ganz besonderen Fällen, in denen ein solcher Rechtsschutz auf andere Weise nicht gewährleistet werden kann, in Betracht zu ziehenden Zwischenregelung kann nicht losgelöst von einer Prognose über die Erfolgsaussichten der zugrunde liegenden Nachbarrechtsbehelfe und von der durch die Einführung des § 212a BauGB im Jahre 1998 getroffenen gesetzlichen Grundentscheidung für die von Nachbarrechtsbehelfen unbehinderte Vollziehbarkeit bauaufsichtlicher Zulassungsentscheidungen gesehen werden. (vgl. dazu OVG des Saarlandes, Beschluss vom 28.10.1994 – 2 W 50/94 –) Die „Sicherheit” einer derartigen Vorausbeurteilung hängt gerade in dem Bereich aber vom jeweils erreichten Verfahrensstand ab, weswegen die vom Verwaltungsgericht unmittelbar nach dem Eingang des Antrags mit Beschluss vom 9.2.2007 getroffene Vorabentscheidung zur Überbrückung des Zeitraums bis zu seiner Ent...